Blutschuld
geeignet wäre, sie umzubringen, darin hatte sie Übung. Inzwischen hatte sie auch sehr viel Übung darin, mit dem Umbringen schneller zu sein.
Phin führte sie den schmalen Gehsteig entlang zu einer Glastür, die keinen Namen und auch kein Firmenlogo trug. Nichts, was verraten hätte, wo sich Naomi befand oder was sie hinter der Glastür erwartete. Sie runzelte die Stirn und bemühte sich, am Schirm vorbei zu lugen. »Was, Phin, wollen wir eigentlich hier?«
»Letzte Vorbereitungen treffen.« Die nichtssagende, beiläufig klingende Antwort trug ihm einen Blick ein, der alles andere als freundlich war. Phin lachte leise auf. Er beugte sich zu Naomi hinunter, und fuhr aufreizend langsam, aber sehr zärtlich mit der Zunge über ihre Unterlippe.
»Vertrau mir einfach.«
»Genau das fällt mir ja so schwer«, erwiderte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit, der ironische Unterton unüberhörbar. Phin streichelte sanft, nur mit den Fingerspitzen, Naomis Wange. Die Finger waren kalt. Sein Blick senkte sich in den ihren. »Ich weiß.«
Die Tür schwang automatisch auf, und Phin führte Naomi hinein. Wohlige Wärme empfing sie. Ungeduldig wartete Naomi aufPhin, der, kaum eingetreten, sich umwandte, um den Schirm auszuschütteln. Das Foyer war schlicht gehalten, die Linienführung modern und gerade. Naomi hatte keinen blassen Schimmer von Mode, nicht von dieser Art Mode jedenfalls. Aber sie vermutete, dass es darum ging, Klarheit auszudrücken, Nüchternheit.
Da nichts an den Wänden stand oder hing, kam Naomi der Raum leergeräumt vor.
»Andy?« Phins Stimme hallte von den Wänden wider, einen schmalen Gang hinunter.
»Kommt rein!«
Die Stimme, die aus Räumlichkeiten hinter dem Foyer zu ihnen drang, klang glatt und gebildet. Sie hatte definitiv nichts von einem Andy. »Nach dir«, meinte Phin und bedeutete Naomi, vorzugehen, was ihm einen argwöhnisch-wachsamen Blick unter hochgezogenen Augenbrauen eintrug.
Die Welt, in die Naomi nach wenigen Schritten eintauchte, überraschte sie ebenso wie die Frau, die diese Welt regierte.
Das Atelier schrie jedem, der eintrat, seine Modernität förmlich entgegen; es machte unmissverständlich klar, was das Foyer nur angedeutet hatte. Klare Schwarz-Weiß-Kontraste dominierten den Raum. Alles hier war entweder schwarz oder weiß: jedes Möbelstück, jede Schaufensterpuppe. Die Spiegel hatten schwarze Rahmen; der Teppich war weiß, der Fußboden schwarzer Marmor, von weißen Adern durchzogen. Die Lampen, oben in die Decke eingelassen, warfen hartes, weißes Licht, das nichts verzieh, und mit dieser Strenge weitere Akzente in die asketische Atmosphäre setzte.
Aber nicht die Einrichtung des Ateliers sorgte dafür, dass Naomi überrascht nach Luft schnappte. Es waren die kräftigen Farben, die ihr überall und aus jeder Ecke, von allen Wänden her ins Auge sprangen: Abendkleider, Garderobe für den Tag, Dessous vom Feinsten – alles, was Frau zu jeder Tages- und Nachtzeit zu tragen wünschte.
Dass ihr der Mund offen stand und sie mit großen Augen alles anstarrte, wusste Naomi. Sie war überwältigt und konnte nicht anders: Sie musste sich einmal langsam um sich selbst drehen, um alles in sich aufzunehmen.
»Was hast du mir hier für eine Göttin gebracht, Phin?«
Eine relativ kleine Frau, schlank, platinblond, durchquerte den überdimensionierten Showroom; der weiße Teppich dämpfte ihre Schritte. Der Anzug im Fischgrätmuster, den sie trug, war von einem schreienden Hellrot. Die Hose hatte überlang geschnittene Beine, sodass der Stoff in reichen Falten über die Stiefeletten fiel, deren schwarze Stilettoabsätze gefährlich spitz und hoch waren. Unter der figurbetonten taillierten Jacke trug die Frau keine Bluse, sondern ein schwarzes Spitzenbüstier, das gerade genug aus dem Dekolleté lugte, um den Blick anzuziehen.
Wie mit dem Lineal war der Pagenkopf der kühlen Blonden rasiermesserscharf auf Kinnlänge getrimmt, der Pony, ebenso schnurgerade, hing ihr in die großen blauen Augen. Es war eine Frau, deren Gesicht faszinierte, strenge, klare Linien, die Wangenknochen so hoch, dass sie den Zügen der Frau etwas bemerkenswert Kantiges verliehen. Die Frau kam ihnen entgegen und lächelte ein viel zu herzliches, viel zu breites Lächeln. Aber nicht deswegen sträubten sich Naomi die Nackenhaare.
Es war die selbstverständliche Vertrautheit, mit der die Blonde in Rot sich bei Phin unterhakte.
Die selbstverständliche Vertrautheit, mit der Phin ihr die Wange
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