Boeses Spiel in Oxford
um Nummer 12 mit Polizeibändern abgesperrt, die Schaulustige abhalten sollten.
Was war geschehen?
Minutenlang traute Kate ihren Augen nicht. Es kam ihr vor, als wären ihre wildesten Fantasien Wirklichkeit geworden und hätten sich in der Agatha Street materialisiert.
Sie bemühte sich, einen gewissen Sinn in das zu bringen, was sich vor ihren Augen abspielte. Vielleicht eine Bombenexplosion? Nein. Man sah weder Krater noch Trümmer. Außerdem hätte sie trotz ihrer Ohrstöpsel etwas hören oder zumindest die Druckwelle spüren müssen. Die Polizei hatte vor dem Zaun der Fosters einen Sichtschutz errichtet, um den Leuten auf der Straße den Einblick in das Grundstück zu verwehren. Von ihrem erhöhten Aussichtspunkt allerdings konnte Kate den Vorgarten überblicken. Plötzlich flammte ein Blitzlicht auf und lenkte Kates Aufmerksamkeit auf das Gartentor.
Auf dem Pfad zum Haus lag ein Haufen Kleidungsstücke.
Nein! Kates Gehirn weigerte sich, zur Kenntnis zu nehmen, was sie sah. Ein kleiner, brauner Vogel ließ sich kaum zehn Zentimeter von ihr entfernt auf dem Fenstersims nieder, neigte das Köpfchen, blinzelte und flog wieder davon. Der Himmel war blau; die wenigen, weißen Wolken bekamen langsam rosa Ränder. Es war ein ganz normaler Tag. Ein Tag wie jeder andere. Doch dann blickte sie erneut in den Garten hinunter.
Ein pinkfarben-roter Jogginganzug. Weiß-rote Laufschuhe. Grün-rote Hosen. Spritzer und Flecken. Es waren keine Kleidungsstücke, die da lagen, sonder zwei Menschen – einer in einem blutgetränkten rosa Jogginganzug, der andere in blutgetränkten Baumwollhosen und gestreiftem Hemd. Es konnten nur die Fosters sein. Einer von Lauras weißen Laufschuhen hob sich deutlich vom braunen Untergrund ab. Kate bemerkte, wie klein ihre Füße waren. Allerdings mit breiten Zehen. Ein weißer Schnürsenkel ringelte sich hinter ihrem Fuß, als ob er sich just in diesem Augenblick gelöst hätte.
Kate spürte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. Wie versteinert stand sie am Fenster, außerstande, sich zu bewegen. Ihr war, als wäre sie von einer hohen Klippe gestürzt, würde fallen und fallen und spüren, wie kalte Luft an ihrem Gesicht vorbeirauschte.
Vergeblich versuchte sie, den Blick von dem Blutbad unter ihrem Fenster abzuwenden, doch es gelang ihr nicht. Irgendwie schien es ihr, als lägen dort unten zu viele Körperteile für zwei Menschen – als ob die einst lebendigen Gliedmaßen sich losgelöst und verselbständigt hätten. Ihr wurde übel. Sie wünschte, der kleine Vogel würde zurückkommen oder einer der Hubschrauber mit seinem Knattern ihre Gedanken vertreiben.
Ein Mann in Polizeiuniform blickte auf und sah sie am Fenster stehen. Er ging auf ihre Haustür zu. Kate lief die Treppe hinunter und öffnete ihm, ehe er dazu kam, zu klingeln.
»Was ist da passiert?«, fragte sie.
»Darf ich eintreten?«, erkundigte sich der Polizist.
Er wies sich aus und sagte auch seinen Namen, doch all das erschien Kate nicht wichtig. Der Polizist begleitete sie in die Küche, wo sie den Wasserkessel einschaltete. Eigentlich nur, um etwas zu tun, dachte sie. Der Tee ist mir völlig egal. Ich muss mich nur irgendwie beschäftigen.
»Was ist da drüben passiert?«, fragte sie erneut.
»Waren Sie den ganzen Tag zu Hause?«, fragte der Polizist zurück. Welchen Dienstgrad führte er überhaupt? Sergeant? Constable? Sie hatte nicht darauf geachtet, als er ihr seine Marke gezeigt hatte, und genau genommen war es ihr auch gleich.
»Ja, ja. Ich bin nicht weggegangen. Ich war den ganzen Tag hier.«
»Könnten Sie mir bitte sagen, was Sie gesehen und gehört haben?«
»Nein. Ich meine, ich habe weder etwas gesehen noch gehört.«
»Aber Sie müssen doch etwas bemerkt haben! Die ganze Straße hat es gehört.« Er klang ungläubig. Der Wasserkessel summte leise. Das hörte sie jetzt ganz gut.
»Was gehört? Was haben die Leute bemerkt?«
»Am besten, Sie erzählen mir einfach, was Sie heute im Lauf des Tages registriert haben«, sagte er mit nun wieder völlig neutraler Stimme.
»Ich habe gearbeitet«, antwortete Kate. »Und dabei habe ich sowohl Ohrstöpsel als auch Kopfhörer getragen.«
»Beides gleichzeitig?«
»Ja. Es hört sich zwar blöd an, entspricht aber der Wahrheit.«
»Und Sie haben nicht aus dem Fenster geschaut? Nichts Ungewöhnliches bemerkt?«
»Ich habe unten im Arbeitszimmer an meinem Computer gesessen. Das Arbeitszimmer befindet sich im Untergeschoss und hat nur ein Fenster, das nach
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