Brenda Joyce
kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Ich war an einem Ort, wo ich eigentlich nicht hätte sein sollen, und wurde von
einem fürchterlichen Rohling bedrängt.« Bei der Erinnerung schüttelte sie sich
unwillkürlich. »Joel ist auf ihn losgegangen, und wir sind zusammen weggerannt.
Ich stehe in seiner Schuld, Maggie.«
Die Frau lächelte verzagt und sagte: »Ja, manchmal taugt er zu
was.«
»Haben Sie ihn seit Sonntag gesehen?«
Maggie blickte zur Seite und schüttelte
verneinend den Kopf, doch Francesca hatte die Lüge in ihren Augen gesehen,
bevor sie sich abwandte.
»Bitte, Maggie! Joel wird keine Schwierigkeiten
bekommen. Ich habe nichts mit der Polizei zu tun. Ich bin eine junge Frau,
genau wie Sie.« Sie bedauerte die Worte, sobald sie ihr über die Lippen
gekommen waren.
»Sie sind nich wie ich«, erwiderte Maggie und
blickte Francesca herausfordernd an. »Sie sind reich, Miss, und ich wette, Sie haben noch nich einen Tag in Ihrem Leben Hunger
gelitten.« Sie legte ihre Näharbeit zur Seite und drehte ihre Handflächen nach
oben. »Sehen Sie die Schwielen?«
»Ja«, antwortete Francesca. Plötzlich begriff
sie, dass Maggie ihr nicht helfen wollte, weil zwischen ihnen eine unüberwindbare
Kluft lag. »Sie haben Recht«, fuhr sie fort. »Wir haben nichts gemein, außer,
dass wir beide Frauen sind. Aber ich werde nicht ruhen, bis ich diesen
vermissten Jungen gefunden habe, Maggie. Ich bete nur, dass er noch am Leben
ist, und mit jedem Moment, der verstreicht, wird dies immer
unwahrscheinlicher. Er befindet sich in den Händen eines Wahnsinnigen.«
Maggie
starrte sie an.
Francesca erwiderte den Blick. Tränen der
Verzweiflung waren ihr in die Augen gestiegen, doch sie kämpfte gegen das
Weinen an.
Nach einer Weile sagte Maggie: »Er wird auch ganz bestimmt nich
hopsgenommen?«
»Hopsgenommen?«
»Hopsgenommen«, wiederholte Maggie. Als sie Francescas verwirrten
Gesichtsausdruck bemerkte, fügte sie hinzu: »Eingebuchtet. Er wird nich von
den Polypen eingebuchtet?«
Francesca hatte das Gefühl, als würden sie verschiedene Sprachen
sprechen. »Sie meinen, von der Polizei verhaftet?«, fragte sie.
Maggie
nickte.
»Nein, das wird er nicht«, sagte Francesca mit fester Stimme. »Ich
bin keine Polizistin. Es gibt keine Frauen bei der Polizei, Maggie. Ich bin nur
eine College-Studentin, das ist alles.«
Maggie befeuchtete sich die Lippen. »Er ist bei meiner Nachbarin.
Wir wohnen in der Nummer 201 in der Avenue A, an der Tenth Street. Er ist im
dritten Stock, die Wohnung mit dem Buchstaben C.«
»Vielen Dank!«, rief Francesca und ergriff Maggies Hände. Dann
beugte sie sich spontan zu ihr hinunter und drückte ihr einen Kuss auf die
Wange.
Francesca
hatte eine Droschke zur Avenue A genommen. Der einzige Unterschied zwischen
dieser Straße und der, aus der sie gerade gekommen war, bestand darin, dass es sich bei der Gegend hauptsächlich um ein Wohngebiet
handelte. Große Mietshäuser waren zwischen Geschäften eingequetscht, wo
Lebensmittel und Alkohol verkauft wurden, und in jedem Wohnblock gab es zwei
oder drei Schenken.
Die Sonne stand hoch an einem beinahe
wolkenlosen Himmel, und der dreckige Schnee auf den Gehsteigen verwandelte
sich allmählich in Matsch. Zahlreiche Fußgänger, zumeist Frauen, waren
unterwegs, um die täglichen Besorgungen zu erledigen. Einige Straßenhändler
boten auf Karren ihre Waren an. Francesca kaufte eine Tüte mit heißen,
gerösteten Kastanien, die sie auf dem Heimweg essen wollte. Sie ging an einem
öffentlichen Badehaus vorbei, dem Greenwood Memorial People's Bath, vor dem
eine Schlange Männer und Jungen auf Einlass wartete. Einige der Jungen spielten
nur mit Pullovern bekleidet Stickball. Ihre Jacken lagen zu einem Haufen
getürmt auf den Stufen des Badehauses.
Francesca blieb vor der Nummer 201 stehen und
blickte an dem Gebäude hinauf. Aus einer der unteren Wohnungen vernahm sie
durch ein geöffnetes Fenster Stimmen. Eine Frau summte eine Melodie, und es
roch nach Brathähnchen.
In diesem Moment erinnerte Francescas
knurrender Magen sie daran, dass sie sich am Morgen ohne Frühstück auf den Weg
gemacht hatte. Sie verspürte eine gewisse Beklommenheit, als sie die Stufen
zur Eingangstür hinaufstieg und eintrat. Was, wenn Joel gar nicht zu Hause
war? Wenn er bei ihrem Anblick davonrannte? Sie atmete tief durch – er musste
einfach zu Hause sein und mit ihr reden.
Dieses Mal war sie nicht überrascht
angesichts der Düsterkeit und des Uringestanks, die
Weitere Kostenlose Bücher