Carre, John le
Tisch hatte
jetzt eine für drei Personen so ungewöhnliche Lautstärke erreicht, daß sich
mehrere Köpfe neugierig nach ihnen umdrehten. Jerry sah sie in den Spiegeln, wo
er schon beinah erwartete, Ko höchstpersönlich zu erblicken, wie er mit seinem
krummbeinigen Seemannsgang durch die Bambustür auf sie zugewatschelt kam.
Lizzie plapperte unbesonnen weiter.
»Oh, es war ein richtiges Märchen! In einem Augenblick hat Ric kaum
noch genug zu essen und schuldete uns allen Geld, Charlies Ersparnisse, mein Nadelgeld von
Daddy. Ric hat uns praktisch alle an den Bettelstab gebracht. Natürlich gehörte
unser Geld ganz selbstverständlich auch ihm. Und dann, ehe wir's uns versahen,
hatte Ric Arbeit, war schuldenfrei, das Leben war wieder ein Fest. Alle die anderen
armen Piloten saßen auf Grund, und Ric und Charlie flogen überall herum, wie .
. . «
» . . . wie die Fliegenpilze«, schlug Jerry vor, worauf Tiu sich vor
Lachen so sehr krümmte, daß er sich an Jerrys Schulter klammern mußte, um nicht
unter den Tisch zu fallen - während Jerry das unbehagliche Gefühl hatte, als
sollte ihm für das Messer Maß genommen werden.
»Heh, das ist aber gut! Fliegenpilze! Gefällt mir. Lustiger Bursche
sind Sie, Pferdeschreiber!«
Genau an dieser Stelle und unter dem Druck von Tius fröhlichen
Unverschämtheiten leistete Jerry ausgezeichnete Arbeit. Die beste, sagte Craw
später. Er überging Tiu völlig und griff den Namert auf, den Lizzie gerade
erwähnt hatte. »Tja, was ist übrigens aus dem guten alten Charlie geworden,
Lizzie?« fragte er, obwohl er keine Ahnung hatte, wer Charlie sein mochte. »Was
ist aus ihm geworden, nachdem Ric auf offener Bühne verschwand? Sagen Sie bloß
nicht, er ist auch mit seinem Schiff untergegangen.«
Wiederum entschwand sie auf einer neuen Woge der Geschwätzigkeit, und
Tiu genoß offensichtlich alles, was er hörte, kicherte und nickte und gluckste,
während er aß.
Er will den Spielstand feststellen, dachte Jerry. Dieser Gauner ist
nicht eigens hierhergekommen, um Lizzie an die Kandare zu legen. Ich mache ihm Sorgen, nicht sie.
»Oh, Charlie ist unverwüstlich, absolut unsterblich«, erklärte Lizzie, und wiederum mußte Tiu herhalten.
»Charlie Marshall, Mr. Tiu«, klärte sie ihn auf. »Ach, Sie sollten ihn kennen, ein
phantastischer Halbchinese, nur Haut, Knochen und Opium und ein ausgesprochen
fabelhafter Pilot. Sein Vater ist ein alter Kuomintang, ein schrecklicher
Brigant und lebt droben in den Shan-Staaten. Seine Mutter war eine arme junge
Korsin - sie wissen, daß die Korsen scharenweise nach Indochina kamen -, aber er ist wirklich absolut einmalig. Wissen
Sie, warum er sich Marshall nennt? Sein Vater wollte ihm nicht seinen eigenen
Namen geben. Also was tut unser Charlie? Legt sich statt dessen den höchsten Dienstrang
in der Army zu. >Mein Dad ist General, aber ich bin Marschall<, sagte er
immer. Ist das nicht drollig? Und weit besser als Admiral, würde ich meinen.«
»Super«, pflichtete Jerry bei. »Großartig. Charlie ist ein toller
Bursche.«
»Liese ist selber ziemlich einmalig, Mr. Wessby«, bemerkte Tiu
großzügig, und Jerry ließ nicht locker, bis sie darauf tranken - auf Lieses
Einmaligkeit.
»Heh, was soll eigentlich immer dieses Liese?« fragte Jerry, als er
sein Glas absetzte. »Sie heißen doch Lizzie. Wer ist diese Liese? Mr. Tiu, ich
kenne die Dame nicht. Warum weihen Sie mich nicht ein?«
Hier wandte Lizzie sich endgültig hilfesuchend an Tiu, aber Tiu hatte
sich etwas aus rohem Fisch bestellt und aß hastig und hingebungsvoll.
»Manche Pferdeschreiber fragen verdammt viel«, äußerte er mampfend.
»Neue Stadt, neues Blatt, neuer Name«, sagte Lizzie endlich mit wenig
überzeugendem Lächeln. »Ich wollte Abwechslung, also habe ich mir einen neuen
Namen zugelegt. Manche Frauen legen sich eine neue Frisur zu, ich lege mir
einen neuen Namen zu.«
»Haben Sie sich auch einen neuen Freund zugelegt?« fragte Jerry. Sie
schüttelte mit niedergeschlagenen Augen den Kopf, während Tiu eine Lachsalve
losließ.
»Was ist los mit dieser Stadt, Mr. Tiu?« fragte Jerry und suchte
instinktiv, sie zu decken, »{find die Burschen hier alle blind geworden oder
was? Mein Gott, ich würde Kontinente durchqueren für sie, Sie etwa nicht? Egal,
wie sie sich nennt, wie?«
»Ich gehe von Kaulun nach Hongkong, nicht weiter!« sagte Tiu, riesig
belustigt über seinen eigenen Witz. »Oder ich bleibe in Kaulun und ruf sie an,
sie soll für eine Stunde zu mir kommen!«
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