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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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und
Wickelgamaschen passiert hat und den Atem anhält, während die Maschine in
sechzig Fuß Höhe über die grauen Dächer der Slums hinwegbraust, wenn die umliegenden
Inseln im blauen Dunst verschwunden sind, dann weiß man, daß der Vorhang
gefallen ist, die Requisiten weggeräumt sind und daß alles dort Erlebte
Illusion war. Diesmal jedoch konnte Jerry sich nicht zu diesem Gefühl
aufschwingen. Er trug die Erinnerung an den toten Frost und an das lebende
Mädchen mit sich, und sie war auch noch bei ihm, als er Bangkok erreicht hatte.
Wie immer brauchte er den ganzen Tag, bis er fand, was er suchte; wie immer war
er nahe daran, aufzugeben. Nach Jerrys Ansicht ging das in Bangkok allen Leuten
so: ob ein Tourist nach einem wat Ausschau hält, ein Journalist nach einer Story - oder Jerry nach
Ricardos Freund und Partner Charlie Marshall - immer befindet sich das Ziel
aller Wünsche am anderen Ende irgendeiner verdammten Gasse, eingeklemmt
zwischen einem verstopften klongund einem Haufen Betonschutt, und es kostet einen immer fünf US-Dollar
mehr, als man erwartete. Jetzt war in Bangkok zwar theoretisch Trockenzeit,
aber Jerry kannte die Stadt nicht anders als im Regen, der unvermittelt in
Wolkenbrüchen aus der Schmutzglocke des Himmels schoß. Später sagten die Leute
immer, er habe den einzigen Regentag erwischt.
    Er begann seine Suche am Flugplatz, weil er ohnehin schon hier war und
von der Überlegung ausging, daß im Südosten niemand lange fliegen könne, ohne
Bangkok anzusteuern. Charlie sei nicht mehr in der Gegend, hieß es. Jemand
versicherte ihm, Charlie habe nach Ries Tod die Fliegerei überhaupt aufgegeben.
Wieder jemand sagte, er sei im Gefängnis. Und noch jemand meinte, er sei
höchstwahrscheinlich »in einer der Höhlen«. Eine hinreißende Hostesse von Air
Vietnam sagte kichernd, er mache Frachtflüge nach Saigon; sie habe ihn immer
nur in Saigon gesehen. »Von woher?« fragte Jerry.
    »Vielleicht Phnom Penh, vielleicht Vientiane«, sagte sie - aber
Charlies Ziel, dessen war sie sicher, sei immer nur Saigon, und er komme nie
nach Bangkok. Jerry blätterte im Telefonbuch, Indocharter war nicht aufgeführt.
Wider alle Hoffnung suchte er auch den Namen Marshall, fand einen - sogar einen
Marshall, C. - und rief ihn an, bekam jedoch nicht den Sohn eines
Kuomintang-Kriegsherrn, der sich einen hohen militärischen Rang zugelegt hatte,
an den Apparat, sondern einen verwirrten schottischen Geschäftsmann, der immer
wieder sagte: »Hören Sie, Sie müssen mal vorbeikommen.« Er ging zum Gefängnis,
wo die farangs eingesperrt werden, wenn sie nicht zahlen können oder gegen einen
General unhöflich waren, und sah die Liste der Insassen durch. Er marschierte
die Galerien entlang und linste durch Käfigtüren und sprach mit einigen
übergeschnappten Hippies. Sie wußten zwar eine Menge über ihre Inhaftierung zu
sagen, aber Charlie Marshall hatten sie nicht gesehen, sie hatten nie von ihm
gehört und sie scherten sich auch, um es fein auszudrücken, einen feuchten Staub
um ihn. In düsterer Stimmung fuhr er zu dem sogenannten Sanatorium, wo
Drogenabhängige ihre Entziehungskur machten, und dort herrschte große
Aufregung, weil es einem Mann trotz der Zwangsjacke gelungen war, sich mit den
Fingern die Augen auszustechen, aber es war nicht Charlie Marshall, und, nein,
sie hatten keine Piloten hier, auch keine Korsen oder korsischen Chinesen und bestimmt keinen Sohn eines
Kuomintang-Generals.
    Also machte Jerry sich an die Hotels, in denen Piloten bei
Zwischenlandungen herumlungern mochten. Er tat es nicht gern, denn es war eine
stumpfsinnige Arbeit und überdies wußte er, daß Ko hier eine große
Interessenvertretung unterhielt. Er zweifelte nicht ernsthaft daran, daß Frost
ihn verraten hatte; er wußte, daß die meisten reichen Überseechinesen
legitimerweise mehrere Pässe benutzen, und die Swatonesen mehr als mehrere; er
wußte, daß Ko einen thailändischen Paß in der Tasche hatte und wahrscheinlich
auch ein paar thailändische Generale. Und er wußte, daß die Thais, wenn sie
erzürnt waren, bedeutend rascher und gründlicher töteten als andere Leute, auch
wenn sie bei einer Exekution durch ein Erschießungskommando den Delinquenten
durch ein ausgespanntes Laken hindurch erschossen, um die Gebote Buddhas nicht
zu verletzen. Aus diesen und noch ein paar weiteren Gründen fühlte Jerry sich
nicht ausgesprochen behaglich, als er Charlie Marshalls Namen in sämtlichen
großen Hotels heraustrompetete.
    Er

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