Charlie Chan macht weiter
mir zur Seite bei diesem Fall. Übrigens steht auch Honolulu auf dem Reiseprogramm«, setzte Duff nachdenklich hinzu. »Aber bis dahin kann noch viel passieren.« Er erhob sich mit plötzlich entschlossener Miene.
»Gehen Sie schon?« fragte Hayley.
»Ja. So sehr ich Ihre Gesellschaft schätze, mein Lieber, blitzartig ist mir aufgegangen, daß mich das nirgendwo hinbringt, wenn ich hier herumsitze. Ausdauer – das ist Chans Motto. Geduld, harte Arbeit und Ausdauer. Ich werde noch einen Vorstoß im ›Broome’s‹ wagen. Vielleicht ist dort doch noch etwas zu entdecken – und wenn ja, dann werde ich es entdecken oder ich will sterben.«
»Jetzt erkenne ich Sie wieder«, sagte sein Freund.
»Ziehen Sie ab und viel Glück!«
Und wieder einmal spazierte Duff die Piccadilly hinunter. Aus dem kalten Nieselregen vom Nachmittag war ein leichter Schneefall geworden. Er machte seinen Gang unsicher, lief ihm am Kragen ins Genick hinein und ärgerte ihn. Leise verfluchte Duff das englische Klima.
Am Half-Moon-Street-Eingang zum »Broome’s« war jetzt bereits der Nachtportier im Dienst. Er legte seine Abendzeitung beiseite und betrachtete den Inspector wohlwollend über seine Brillengläser.
»Guten Abend, Sir!« sagte er. »Schneit es etwa?«
»Zumindest versucht es das«, antwortete Duff. »Hören Sie, wir haben uns noch nicht oft miteinander unterhalten. Erinnern Sie sich noch an die Nacht, in der der Amerikaner im Zimmer 28 getötet wurde?«
»Das werde ich wohl nie vergessen, Sir. Ein überaus aufregendes Ereignis. In all meinen Jahren im ›Broome’s‹…«
»Haben Sie noch mal über jene Nacht nachgedacht? Und haben Sie sich vielleicht an irgend etwas erinnert, das Sie mir noch nicht erzählt haben?«
»Da war noch etwas, Sir. Ich hatte vor, es Ihnen zu sagen, wenn ich Sie wiedersehe. Denn ich fürchte, bisher wurde die Kabeldepesche noch nicht erwähnt.«
»Was für eine Kabeldepesche?«
»Die um zehn Uhr einging, Sir. Sie war an Mr. Hugh Morris Drake adressiert.«
»Mr. Drake hatte ein Telegramm erhalten? Wer hat es angenommen?«
»Ich, Sir.«
»Und wer hat es ihm ins Zimmer raufgebracht?«
»Martin, der Etagenkellner. Er wollte gerade seinen Dienst beenden, aber da keiner der Pagen verfügbar war, bat ich Martin, er möchte doch so freundlich sein und zu Mr. Drake hochgehen…«
»Wo befindet sich Martin jetzt?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Vielleicht ist er immer noch beim Abendessen im Speisesaal der Angestellten. Ich kann ihm eine Nachricht…«
Aber Duff hatte bereits einen betagten, ehrwürdigen Pagen herbeigewinkt, der sich am anderen Ende der Halle gemütlich auf einer Bank ausruhte.
»Schnell!« schrie er ihm zu und gab dem alten Mann einen Shilling. »Holen Sie rasch Martin, den Etagenkellner, bevor er das Hotel verläßt! Versuchen Sie’s im Speisesaal!«
Der alte Mann entfernte sich überraschend schnell, und Duff wandte sich wieder dem Nachtportier zu.
»Das hätte ich früher erfahren müssen.«
»Glauben Sie wirklich, daß es von Wichtigkeit ist, Sir?« fragte der Portier höflich.
»Bei einem Fall wie diesem ist alles wichtig.«
»O Sir – Sie haben in dieser Hinsicht so viel mehr Erfahrung als wir. Selbstverständlich war ich ein bißchen durcheinander und…«
Der Inspector wandte sich ab, da Martin in diesem Moment auf der Bildfläche erschien. Seine Kaumuskeln waren immer noch in Bewegung, so abrupt war er vom Tisch aufgesprungen.
»Sie haben mich« – er schluckte – »gewünscht, Sir?«
»Ja.« Duff war jetzt voll in Aktion. »In der Nacht, in der Hugh Morris Drake im Zimmer 28 ermordet wurde, haben Sie gegen zehn Uhr ein Telegramm in sein Zimmer hinaufgebracht – das heißt, eine telegrafische Nachricht.«
Er hielt inne und registrierte überrascht, daß der rotwangige Martin ganz weiß geworden war und kurz vor einer Ohnmacht stand.
»Ja, Sir«, brachte er mühsam hervor.
»Ich nehme an, Sie haben an Mr. Drakes Tür geklopft. Was ist dann passiert?«
»Nun – nun, Mr. Drake, Sir, kam an die Tür und nahm den Umschlag entgegen. Er dankte mir und gab mir ein Trinkgeld. Ein großzügiges.«
»Ist das alles?«
»Ja, Sir. Ja, Sir. Sozusagen alles.«
Duff packte den jungen Mann ziemlich grob am Arm. Ganz Scotland Yard stand in diesem Moment hinter ihm. Der Kellner krümmte sich.
»Kommen Sie mit!« befahl Duff.
Er schob den Angestellten ins Büro des Direktors, das düster und verlassen war. Nachdem er Martin auf einen Stuhl geschubst hatte, suchte er
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