Charlie Chan macht weiter
schlief ich mit einer Kommode vor der Tür – das heißt, ich versuchte zu schlafen. Und ganz allmählich entwickelte ich einen Plan.
Ich wollte zu Everhard gehen und ihm sagen, daß ich an einem sicheren Ort einen versiegelten Umschlag aufbewahrt hätte, der zu öffnen sei, für den Fall, daß mir etwas zustoßen sollte. In diesem Umschlag würde sein Name stehen, wollte ich behaupten – der Name meines Mörders, falls ich ermordet würde. Das würde ihn, so hoffte ich, wenigstens eine Zeitlang zügeln.
Ich schrieb eine kurze Nachricht, erwähnte aber nicht Everhards Namen. Selbst wenn er mich schließlich doch erwischen sollte, brauchte die alte Geschichte nicht aufgedeckt zu werden. Dieser alte Skandal würde nur Deine glänzende Karriere ruinieren, meine Liebe. Das kann ich nicht zulassen.
Ich bin so stolz auf Dich.
Heute nachmittag habe ich den Umschlag einem Mitglied der Reisegruppe gegeben, bei dem ihn ganz sicher niemand vermuten wird. Vor wenigen Augenblicken habe ich Jim Everhard in der Lobby gesehen. Ich setzte mich neben ihn und teilte ihm ganz beiläufig mit, was ich getan hatte. Er erwiderte nichts, saß einfach nur da und starrte mich an.
Natürlich steht sein Name nicht in dem Brief, aber ich denke, daß mein Plan seinen Zweck erfüllt.
Ich werde also mit der Gruppe weiter bis Nizza reisen und bin sicher, daß er bis dahin nichts tun wird. Dort werde ich mich in der ersten Nacht davonschleichen und mit einem Wagen in der Dunkelheit nach San Remo kommen und Dich holen. Scotland Yard hat seine Ermittlungen im Moment eingestellt, außerdem bezweifle ich, daß sie mich aufhalten könnten. Wir werden uns verstecken, bis die Gefahr vorüber ist. Ich nehme selbstverständlich an, daß angesichts dieser unerwarteten Bedrohung unsere Differenzen begraben sind. Nein, meine Liebe, ich werde Dir nicht den Namen sagen, unter dem Jim Everhard jetzt reist. Du warst immer so impulsiv und schnell im Handeln. Ich habe Angst, Du würdest und könntest nicht schweigen, falls mir etwas zustößt. Du würdest mit großer Geste deine fantastische Karriere wegwerfen und hinterher sicher bedauern, daß Du das getan hast. Falls mir also etwas zustoßen sollte, dann geh, um Gottes willen, der Loflon-Reisegruppe aus dem Weg! Deine eigene Sicherheit muß Dein erster Gedanke sein. Fahr nach Genua und nimm das erste Schiff nach New York! Ich flehe Dich an – wirf nicht die restlichen Jahre deines Lebens weg! Aber mir wird sowieso nichts passieren. Und Du brauchst Dich auch nur ruhig zu verhalten – wie ich. Meine Hand zittert nicht, während ich dies schreibe. Es wird am Ende alles gut werden. Ich telegrafiere Dir das Datum meiner Ankunft – für unsere zweiten Flitterwochen. Everhard und die Ereignisse von vor langer Zeit werden wieder in den Schatten der Vergangenheit verschwinden.
In Liebe – ewig Dein Walter.
Inspector Duff faltete ernst die Briefbogen zusammen und steckte sie wieder in den Umschlag zurück. Er fühlte sich hilflos. Die Neuigkeit, daß die Ermordung Hugh Morris Drakes nur sozusagen ein Unfall gewesen war, überraschte ihn nicht sehr. Aber Unfall hin oder her – der Täter mußte ergriffen und der Gerechtigkeit überführt werden. Inzwischen hatte er drei Morde auf dem Gewissen. Honywood war während des ganzes Briefes nahe daran gewesen, seinen Namen niederzuschreiben. So schien es zumindest. Welchen Namen? Tait – Kennaway – Vivian? Lofton oder Ross? Minchin, Benbow oder Keane? Oder vielleicht doch Fenwick? Aber nein, der konnte kaum etwas mit dem Mord heute abend zu tun haben.
Nun, er würde es herausbekommen. Entschlossen kniff er die Lippen zusammen, verschloß den Brief in seinem Gepäck und ging nach unten.
In der Lobby traf er nur Dr. Lofton an. Duff war erschrocken über sein Aussehen. Er war ganz bleich unter dem Bart, und seine Augen stierten ihn an.
»Mein Gott, was ist nun?« fragte er.
»Honywoods Frau wurde im Lift direkt neben mir ermordet«, erklärte Duff ruhig. »Sie wollte mir gerade den Mörder von Drake und Honywood zeigen – unter den Mitgliedern Ihrer Reisegruppe.«
»Meiner Reisegruppe?« wiederholte Lofton. »Ja, ich glaube es jetzt. Die ganze Zeit habe ich mir einzureden versucht, daß es nicht wahr sein könnte.« Er hob verzweifelt die Schultern. »Das ist das Ende.«
Duff packte ihn fest an einem Arm und führte ihn in eine Ecke. »Natürlich machen Sie weiter. Ich hoffe nicht, daß Sie mich im Stich lassen. Diesmal wurde keiner aus Ihrer Gruppe
Weitere Kostenlose Bücher