Cherubim
und blätterte in einem seiner Bücher. Als er Lukas bemerkte, sah er auf. Lukas erkannte die Opera Omnia, die gesammelten medizinischen Werke.
»Katharina ist weggegangen«, sagte der Doktor. Zu Lukas’ Erstaunen war in seinen Augen keinerlei Zorn zu erkennen, und auch seine Stimme klang völlig gewöhnlich.
Zögernd trat Lukas einen Schritt näher.
»Ich mache mir Sorgen um sie«, sagte der Doktor. »Sie wollte irgendjemanden vor dem Mörder warnen, aber sie hat mir nicht verraten, wen.«
Lukas schwieg, weil er nicht wusste, was er darauf antworten sollte.
»Sie meinte, sie kenne noch jemanden, der diese schwarzen Schatten in den Augen hat. Sagt dir das etwas?«
Es gibt Fälle, bei denen stößt jeder Heilkundige an seine Grenzen, hörte Lukas Katharinas Stimme in seinem Kopf widerhallen. Er dachte daran, wie sie ihm von dieser Priorin mit dem schwarzen Urin erzählt hatte.
Offenbar waren ihm seine Gedanken an der Nasenspitze abzulesen, denn der Doktor runzelte die Augenbrauen. »Es sagt dir etwas!«
Lukas schluckte. Er war versucht zu lügen, aber ein Blick in des Doktors Miene belehrte ihn rasch eines Besseren. Er zuckte die Achseln. »Sie hat mir kürzlich erst etwas von einer Nonne im Katharinenkloster erzählt. Das liegt hier ganz in der Nähe. Offenbar gibt es dort eine Frau, die unter Schwarzharn leidet, so wie Krafft. Keine Ahnung, ob sie auch schwarze Augen hat.«
Mit einem Satz war der Doktor auf den Beinen. »Sehr gut!« Er lächelte Lukas zu. »Danke!« Dann drängte er sich an ihm vorbei und war schon halb aus dem Haus, als Lukas ihm hinterherrief: »Wo wollt Ihr hin?«
»Katharina helfen!«, war die knappe Antwort.
Dann fiel die Haustür hinter dem Doktor ins Schloss.
Richard erwachte kurz vor dem Sonnenaufgang, weil mit einer Hartnäckigkeit an der Türklingel gezogen wurde, als drohe das Jüngste Gericht. Er hörte Thomas die Treppe hinuntereilen und dabei leise vor sich hin fluchen. Dann verstummte das Schellen, Richard hörte unten auf dem Flur jemanden reden, verstand jedoch kein Wort.
»Er schläft noch!«, rief Thomas voller Empörung aus, und der Besucher, der bereits halb die Treppe hinauf war, brummte: »Mir doch egal!«
Arnulf!
Richard setzte sich aufrecht hin. Er hatte gerade die Füße auf den Boden gestellt, als der Nachtrabe die Tür zu seinem Schlafzimmer aufriss und hereingestürmt kam.
»Wie siehst du denn aus?«, entfuhr es Richard.
Arnulfs Augen waren blutunterlaufen, seine Kleidung so zerknittert, als habe er in ihr geschlafen – und zwar auf dem Boden und nicht in einem Bett. Die schwarzen Gewänder waren von Staub und Flecken übersät, deren Herkunft Richard lieber nicht erkunden wollte.
»Geht dich gar nichts an!«, knurrte Arnulf schlecht gelaunt und trat an Richards Bett, während der begann, sich anzukleiden. Ein strenger Geruch von Branntwein und Schweiß ging von dem Nachtraben aus.
Richard verzog das Gesicht. »Du stinkst!«
»Hab die Nacht durchgesoffen«, erklärte Arnulf und lehnte sich gegen das Bücherregal, das in Richards Zimmer stand. Auf einem kleinen Tischchen daneben hatte Thomas eine Schale mit Äpfeln platziert, und Arnulf griff sich einen davon.
Er wollte gerade hineinbeißen, als Richard warnend die Hand hob. »Das würde ich lassen! Die sind aus Wachs!«
Prüfend betrachtete Arnulf die täuschend echt aussehende rotgrüne Frucht. »Wachsäpfel? Seit du diesen Diener hast, mauserst du dich zum eitlen Pfau, oder? Wann schaffst du dir rote Samtkissen an?« Er legte den Apfel zurück in die Schale.
Richard schlüpfte in seine Schuhe. »Mit irgendwas muss ich Thomas ja beschäftigen. Seit er nicht mehr bei Pömer ist, langweilt er sich ein bisschen.«
»Hast eben nicht genug gesellschaftlichen Umgang.« Arnulf grinste.
Richard schlang sich seinen Gürtel um die Hüften. »Du bist aber nicht hier, um mit mir über Thomas zu plaudern, oder?«
Schlagartig wurde Arnulf ernst. »Nein. Ich war gestern Abend schon mal hier, aber du nicht.«
Richard öffnete die Schlafzimmertür. »Ich habe einen Besuch in St. Sebald abgestattet.«
»Sag nicht, du hattest plötzlich das Bedürfnis zu beten!« Arnulf folgte ihm auf den Flur hinaus. Die kostbaren Teppiche, die dort lagen, dämpften ihre Schritte.
Richard grinste. »Nein. Ich habe mich mit dem Mesner unterhalten. Wusstest du, dass in den letzten Jahren kein neuer Türmer eingestellt worden ist?«
Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter und in das Speisezimmer, wo Thomas bereits damit
Weitere Kostenlose Bücher