Clemens Gleich
musste er sich übergeben und wieder hinlegen, als ihn der Alkoholabbau einholte. Liegend begann er eine Inventur. Das dunkle Mädchen lag schlafend neben ihm. Pikmo? Weg. Jianna? Weg. Sein Messer? Weg. Sein Zunder und seine Angelschnüre: weg, sein restlicher Kleinkram ebenfalls. Frechheit. Er stand auf. Er musste sich wieder hinlegen. Um seines Kopfes willen sehr leise rufend, versuchte er, auf sich aufmerksam zu machen, wobei er in eine verstörende Zwischenwelt auf halbem Weg vom Traum zur Wirklichkeit vor sich hindöste, in der ihn gähnende Gefühle der Leere ebenso heimsuchten wie sein in Schüben dröhnender Kopf. Plötzlich stolperte Pikmo in sein Blickfeld – nackt, seinen Lendenschurz in der Hand tragend. War das Traum oder Wirklichkeit?
"Die wollten mir meinen Schurz wegnehmen!", beschwerte sich die Wirklichkeit, die ihn aus seinem flachen Halbschlaf erlöste.
"Mmh", machte Fuzz. Dann versuchte er eine differenziertere Antwort: "Ausziehen oder wegnehmen?"
"Wegnehmen."
"Mir haben sie mein Messer geklaut."
"Wo ist Jianna?"
"Haben sie wahrscheinlich auch geklaut."
"Aber das geht doch nicht!", rief Pikmo in untypisch menschlicher Pose aus.
"Siehst doch, dass es geht."
"Wir müssen sie suchen!"
"Bitte nicht so laut!", beschwerte sich der Bub. "Außerdem muss ich kotzen, wenn ich aufrecht stehen muss."
"Ich kann dich tragen."
"Warum kommst du nicht wieder, wenn du sie hast?", schlug Fuzz in der starken Hoffnung vor, dass die Suche bis zu seiner Genesung dauern möge.
"Dann nehmen sie dich vielleicht auch noch weg!"
"Du hast voll das Ding!", fiel Fuzz da auf. "Wie Pi."
Pikmo verstand nicht, was der Junge für Informationen wollte, stufte die Diskussion jedoch als unwichtig ein. Wichtig war:
"Komm, ich trage dich und wir suchen Jianna."
"Da muss ich bestimmt genauso kotzen", wehrte Fuzz ab.
"Lass es uns probieren", sagte Pikmo, was trotz der Formulierung mehr Anweisung als Vorschlag war. Er hob Fuzz vorsichtig auf. Fuzz übergab sich sofort.
"Geht's jetzt besser?", fragte Pikmo nachsichtig.
"Nein."
"Gut. Los geht's." Pikmo lief los. Zum ersten Mal in seinem kurzen Dasein erlebte er ein schlechtes Gewissen. Zwar hatten ihn seine leistungsfähigen Filter vor dem Ärgsten des Alkohols bewahrt, mussten jedoch vor der schieren Menge und Anzahl verschiedener Drogen schließlich kapitulieren. Er war berauscht gewesen und hatte Jianna deswegen verloren. Er lief schneller. Die Fracht in seinen Armen protestierte leise, ungehört, weil die Übelkeit immer noch in derselben Stärke vorhanden war wie unmittelbar nach dem Aufwachen. Allerdings war nichts mehr im Magen, was herauskommen wollte, also konnte sich Fuzz nichtmal durch Erbrechen gegen diese Behandlung wehren. Er schloss die Augen, um festzustellen, dass es keinen Unterschied machte, denn in den Gängen fehlte sowieso jedes Licht. Pikmo schien sich seinen Weg zu erschnüffeln, ihre Freundin allein nach Geruch zu suchen. Fuzz ergab sich in eine anbrandende Bewusstlosigkeit. Als er das nächste Mal die Augen öffnete, gab es genügend Licht, um zu erkennen, dass Pikmo Jianna gefunden hatte. Sie standen in einer kleinen Höhle. In einer Ecke dieser Höhle lag Jianna friedlich schlafend in den Kissen. Vor ihnen stand der Mann, der beim Essen neben ihr gesessen hatte. Er versperrte Pikmo den Weg, erhob Besitzansprüche auf die Frau. Pikmo fletschte die Fänge, fuhr die Krallen aus und knurrte in einer beunruhigenden Basslage. Der Mann trat nach kurzem Nachdenken beiseite. Pikmo legte Fuzz in die Kissen und stupste Jianna an. Sie sah eigentlich recht zufrieden aus mit ihren rosigen Trinkerbäckchen.
"Fssztwg? Wo bin ich?", sagte sie mit einem automatischen Strecken. Beim Aufsetzen musste auch sie sich sofort erbrechen. Der Ekel der Selbstbeschmutzung kroch bereits in ihr hoch, als sie bemerkte, dass sie in Pikmos ausgestreckte Hände gekotzt hatte.
"Oh", hauchte sie. "Das tut mir leid."
"Macht nichts", sagte Pikmo. Er reichte das vorverdaute Essen dem Mann weiter und reinigte seine Hände in einem Bassin.
"Bist du in Ordnung?", fragte er.
"Ich weiß nicht. Mir ist schlecht." Ihre Frisur wie auch ihr Gesichtsausdruck wirkten sehr unsortiert.
"Mir ist auch schlecht", mischte sich Fuzz ein. Pikmo half Jianna in eine sitzende Position, suchte nach Verletzungen. Sie war nackt, was ihr offenbar erst jetzt auffiel:
"Wer hat mich ausgezogen?"
"Wahrscheinlich dein Freund hier", keuchte Fuzz. Der Freund wusch sich gerade die Hände ab.
"Ich kann mich
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