Clemens Gleich
stehe! Es muss doch möglich sein, einen kleinen Verzug einzuräumen!"
"Leider nicht. Die Morde bleiben nicht liegen, es wird sich in der Zwischenzeit nur jemand anderes darum kümmern als der Hauptmann persönlich."
"Aber..." Shardid hob die Hand. "Bitte... das Ministerium weiß, was es tut." Gramp sackte zusammen und stimmte zu. Er hatte ohnehin keine Wahl.
Milo hatte eine Flasche guten Weins geöffnet und suchte mit Jianna nach einem geeigneten Transportmittel. Er hatte vorhin am Rande mitbekommen, dass es eine ziemlich weite Strecke sein musste, die sie da zurücklegen wollte, allerdings war er transporttechnisch chronisch schlecht bestückt: Ein altes Damenfahrrad von seiner Mutter war das höchste der Gefühle. Hilflos wedelte Milo mit seiner Busfahrkarte, was ihm einen finsteren "du-Idiot"-Blick von Jianna eintrug. Seufzend entschied sich Jianna für das Fahrrad. Sie kannte sich mit Felligen aus und vermutete, dass Pikmo problemlos längere Strecken in ihrem Fahrradtempo aushielt. Sie breitete ihre mitgebrachte Wanderkarte auf dem Küchentisch aus und nahm einen Schluck Wein. Sie deutete auf einen Punkt, den Milo nur als ästhetisch unzureichendes grünes Zeug identifizieren konnte und sagte:
"Wir fahren hier entlang, diese kleinen Wege." Milo nickte verständnislos. "Auf den Hauptstraßen könnte uns die Wache erwarten, das Risiko will ich nicht eingehen. Was meinst du dazu, Pikmo?"
"Ich finde die Idee gut", strahlte dieser, "lass es uns so machen, wie du sagst." Jiannas Augen verengten sich etwas.
"Du musst neben dem Fahrrad herlaufen, ich hoffe, das macht dir nichts aus", sagte sie.
"Nein, das macht mir nichts aus."
"Du wirst das Gepäck tragen, damit wir schneller vorankommen. Ist das in Ordnung?"
"Natürlich." Jiannas Augen waren nur noch Schlitze. Sie wusste selber nicht so recht, wieso sie sich so aufregte, vielleicht hatte sie sich einfach mehr rebellische Eigenständigkeit erwartet von etwas... jemandem wie Pikmo.
"Nein, das ist nicht in Ordnung", verbesserte sie ihn. "Das ist unfair. Ich habe das Fahrrad, also kann ich auch den Rucksack auf dem Gepäckträger mitnehmen."
"Du hast recht." Sie rollte mit den Augen. Dann sah sie auf ihre automatische Sonnenstandsuhr am Handgelenk. Vor lauter Aufregung hatte sie gar nicht gemerkt, wie lange sie schon auf waren.
"Milo, kann Pikmo im Schlafzimmer deiner Eltern schlafen? Ich glaube, es ist am besten, morgen früh ausgeruht loszugehen. Das bringt heute nichts mehr."
"Na klar", gähnte Milo. "Ich hab nur gedacht, da willst du schlafen?"
"Ich nehme das Gästezimmer."
"Wie du willst. Die Betten sind noch einigermaßen frisch, und wenn du trotzdem neu beziehen willst, weißt du ja, wo die Bettwäsche liegt."
"Danke, Milo", lächelte Jianna. "Ich weiß das wirklich zu schätzen."
"Das mach ich doch gerne." Jianna zwängte sich aus ihrer Ecke und stupste Pikmo an: "Komm, ich zeig dir, wo du schlafen kannst."
"Danke." Pikmo trottete ihr hinterher die Treppe hoch in ein geräumiges Schlafzimmer. Es war schwermütig lichtarm eingerichtet mit massiven Möbeln aus dunklem Holz. Über dem Bett hing ein Gemälde der sieben Minister. Niemand wusste, wie sie eigentlich aussahen, was den Maler nicht daran gehindert hatte, sie als gütig lächelnde alte Männer mit weißen Bärten darzustellen, die verschiedenfarbige Nachthemden trugen. Milo konnte lange über die metaphorische Bedeutung der einzelnen Farbtöne referieren, aber das Thema hatte Jianna nie interessiert. Es war eines dieser Bilder, die für eheliche Moral sorgen sollen, indem die Figuren einen die ganze Zeit anzustarren schienen. Es grenzte an ein Wunder, dass Milo in so einer Umgebung überhaupt hatte passieren können. Immerhin: Das Doppelbett war riesig und unglaublich weich. Sie überließ es dennoch gerne Pikmo im Tausch gegen ein Zimmer, das zwar wesentlich kleiner und spartanischer war, in dem sie sich jedoch ausziehen konnte, ohne sich dabei von der höchsten Legislative des Landes beobachtet zu fühlen.
Jianna winkte Pikmo ans Bett, der scheinbar unschlüssig im Türrahmen stand:
"Na komm, steh nicht so rum wie bestellt und ... nicht ...abgeholt... Entschuldigung! Das hier ist jedenfalls dein Bett." Sie roch an den Laken. "Scheint wirklich noch einigermaßen sauber zu sein. Also, leg dich hier rein, damit du morgen fit bist!"
"Ja, Jianna." Pikmo streifte den Umhang ab und legte ihn ordentlich gefaltet über einen Garderobenstuhl. Seinen Lendenschurz legte er kurz darauf daneben,
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