Codex Mosel
sich Walde. »Das da ist auf irgendeinem Flughafen …«, er stellte den Ton lauter.
»… hat seine Israelreise abgebrochen.«
»Dann hockt er womöglich am Sonntagabend wieder in der Schwafelrunde bei der Christiansen und lässt sich über die zunehmende Respektlosigkeit der Verbrecher aus«, seufzte Walde und nahm Annika auf den Arm.
Mittwoch
Walde war früh auf den Beinen. Endlich regnete es nicht mehr. Er hatte es dankbar registriert, als er vor dem Frühstück Katzenfutter in den Napf auf der Terrasse schaufelte.
Dennoch prasselten ihm dicke Tropfen auf Kopf und Schulter, als er unter den von einer Windbö gerüttelten, über die Mauer ragenden Ästen der hohen Zeder sein Auto aufschloss. Während der kurzen Fahrt gingen ihm ein halbes Dutzend Dinge durch den Kopf, die er im Laufe des Morgens neben Routineermittlungen und dem unvermeidlichen, niemals vorhersehbaren Tagesgeschäft angehen wollte. Obendrein begann heute das Treffen der International Police Association, für die er und sämtliche Kollegen eigentlich keine Minute erübrigen konnten. Gestern hatte niemand darüber gesprochen, als hofften alle, die ganze Geschichte würde sich vielleicht über Nacht in Wohlgefallen auflösen. Dazu kam, dass er einen Vortrag halten musste. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er ein Fingerglied dafür hergegeben, diesen Kelch an sich vorübergehen zu lassen. Wenn auch nur vom kleinen Finger der linken Hand, der von einem Gitarristen, wenn überhaupt, am wenigsten gebraucht wurde.
Immer noch in Gedanken versunken, grüßte er, ohne sie wirklich wahrzunehmen, die beiden Kollegen hinter dem Panzerglas in der Schleuse des Polizeipräsidiums und hatte keine Augen für Uli, der im Foyer auf ihn zukam.
»Noch nicht ganz wach?«
An diesem Ort, um diese Zeit hatte Walde seinen Freund am wenigsten vermutet.
»Doch, klar, aber was …«
»… wir haben auf dich gewartet. Die da«, er deutete auf den Eingangsbereich, »wollten uns nicht zu deinem Büro lassen.«
»Ich war ja auch nicht da.« Walde nickte den beiden im Glaskasten zu und überlegte, ob die auch gestern Dienst hatten und einen Anschiss bekommen hatten, weil sie die Frau des ermordeten Gärtners ohne Rücksprache ins Haus gelassen hatten.
»Nicht da. Wie meinst du das? Physisch oder psychisch?«, fragte Uli.
Walde drückte den Fahrstuhlknopf. »Entschuldige, um diese Zeit sind mir deine verschrobenen Gedankengänge noch zu viel.«
»Das ist Nicolaos«, sagte Uli und deutete auf einen Mann in beigefarbenem Anzug und dunklem Hemd. Der Mann hatte ein Bild betrachtet und kam nun zu ihnen herüber.
»Wie bitte?« Walde drückte dem unsicher wirkenden Mann die Hand.
»Nicolaos ist einer von den Ikonenmalern, ich hab dir von ihm erzählt. Er ist von dem Typen angesprochen worden.« Uli schaute Walde forschend an. »Ich dachte, das ist wichtig, falls es was mit dem Domraub zu tun haben sollte.«
»Danke, dass du … dass ihr gekommen seid.«
Die Fahlstuhltür öffnete sich und die Männer traten ein.
Kaum hatte Walde sein Büro aufgeschlossen, eilte er schon zum Fenster, um es, wie er es noch vom alten asbestverseuchten Präsidium gewohnt war, weit aufzureißen.
»Ja, dann möchten wir gerne gleich anfangen«, sagte Uli.
»Womit?« Walde musterte den im Gegensatz zu Uli glatt rasierten Nicolaos mit der hellen Haut, der so gar nicht dem Bild entsprach, das er von einem griechischen Ikonenmaler hatte.
»Verbrecherkartei, Gegenüberstellung, Phantomzeichnung, was weiß ich, it’s your turn!«
Walde wies auf die Stühle am Besprechungstisch und griff zum Telefon. »Ich hör mal, ob schon jemand in der Technik ist.« Während er wählte, fragte er: »Kaffee?«
»Danke, wir kommen von der Quelle.«
Wie Walde von Monika erfuhr, waren nicht nur die Kollegen von der Technik, sondern alle anderen Kollegen und die zur Verstärkung von weiteren Abteilungen und den umliegenden Revieren nach Trier abgeordneten bereits im Haus. Sie gab ihm noch eine Warnung mit auf den Weg. »Pass auf dem Flur auf, da patrouilliert der Chef.«
*
Neben den leidigen Routinearbeiten, den Besprechungen, den weit umfangreicher als erwartet ausfallenden Störungen durch Staatsanwalt, Presse, Kollegen und Präsidenten, sich wichtig nehmenden Zeugen, die nur mit dem Leiter der Sonderkommission ›Codex‹ persönlich sprechen wollten, hatte Walde bis zur Mittagszeit nicht einmal die Hälfte dessen erledigt, was er sich vorgenommen hatte. Zuerst hatte die Soko ›Schatz‹ heißen
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