Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
sah sich vor unmittelbar anstehenden, entscheidenden Gefechten, und die schiere Größe der pardalianischen Armeen entsetzte ihn. Mehr als einhunderttausend Mann marschierten gerade das Keldark-Tal hinauf, und bis morgen – oder allerspätestens übermorgen – würden viele, viele Menschen sterben.
Zu viele Menschen, egal auf welcher Seite sie stehen, aber ich kann wirklich überhaupt nichts dagegen tun!
Sean gab Tibold einen Klaps auf die Schulter, und trotz allem hob sich seine Stimmung ein wenig, als er das zuversichtliche Grinsen des alten Kriegers sah, und gemeinsam gingen sie zu ihren Branahlks hinüber.
Stomald erhob sich, als Engel Harry das Kommandozelt betrat, um die ›Lagekarte‹ zu aktualisieren. Sie lächelte, und er wusste, dass sie ihn für seine Respektsbezeugung schalt, doch er konnte nun einmal nicht anders. Und, so rief er sich ins Gedächtnis zurück, immerhin habe ich es schon geschafft, sie und Engel Sandy nicht mehr mit ›Engel‹ anzusprechen, auch wenn ich nicht verstehe, warum die beiden so hartnäckig darauf bestehen. Aber es gab schließlich eine ganze Menge Dinge, die er nicht verstand. Er hatte damit gerechnet, dass die Engel erzürnt sein würden, als die Stimmung der Armee umzuschlagen begann, doch tatsächlich schienen sie sogar erfreut darüber, dass die Truppen mehr und mehr zu malagoranischen Nationalisten wurden und sich nicht mehr als religiöse Ketzer sahen.
Er schaute Ihrer Erlaucht Harry beim Arbeiten zu. Sie war einen Kopf größer als er und sogar noch schöner (und jünger), als er in Erinnerung hatte, jetzt, wo er in der Lage war, ihr am Gesicht abzulesen, wann sie nachdachte und wann sie belustigt war. Wieder einmal schalt er sich dafür, dass er sofort auch an den gertenschlanken Körper dachte, der sich unter ihrem Gewand erahnen ließ. Sie war schließlich ein Engel – egal, ob sie sein Volk mit der ihr zustehenden Weisungsgewalt befehligte oder geruhte, davon Abstand zu nehmen!
Harry legte den Kopf zur Seite, um mit dem ihr noch verbliebenen Auge ihr Werk zu begutachten, und er biss sich in vertrautem Zorn auf die Lippen. Ihre anderen entsetzlichen Wunden waren mit engelsgleicher Geschwindigkeit verheilt, doch die schwarze Augenklappe war geblieben und versetzte seinem Herzen einen Stich, wann immer er diese sah. Trotz all der Dinge, die Klippenend ihr angetan hatte, verspürte Engel Harry keinerlei Hass. Stomald glaubte nicht, dass sie überhaupt zu hassen in der Lage wäre, nicht nach all der Sanftmut, mit der sie stets zu ihm sprach – ihm, dem Mann, der sie beinahe bei lebendigem Leibe verbrannt hatte!
Sie wandte sich von der Karte ab, und Belustigung machte ihr Lächeln noch strahlender, als er angesichts ihres Blickes errötete. Nur ließ ihr Lächeln ihn sich nicht noch peinlicher berührt fühlen. Stattdessen spürte er, dass er dieses ihr Lächeln erwiderte.
»Sandy wird in wenigen Stunden eine neue Aktualisierung durchführen«, sagte sie in der Heiligen Zunge. »Jetzt, wo sie näher rücken, beobachten wir sie noch genauer.«
»Ich bin kein Soldat … oder …«, korrigierte er sich mit einem schiefen Grinsen, »ich war kein Soldat, aber das erscheint mir sehr weise.«
»Stell dein Licht nicht unter den Scheffel! Du kannst zwar von Glück reden, dass du einen Hauptmann wie Tibold hast – und Sean und Tamman natürlich, aber du selbst bist auch nicht ungeschickt im Kriegshandwerk.«
Er senkte den Kopf, sonnte sich in ihrem Lob. Bevor er allerdings noch irgendetwas antworten konnte, trat Erlaucht Sean ein, gefolgt von Tibold.
In respektvollem Gruß berührte Erlaucht Sean seinen Brustpanzer, und der Engel nahm es mit ernster Miene zur Kenntnis, und doch: Stomald hatte das Blitzen in ihren Augen bemerkt. Nur einen Augenblick lang ärgerte er sich darüber, dann erstickte die aufkeimende Scham seine Verstimmung. Sie war ein Engel , und Erlaucht Sean war der Engel Erster Krieger.
»Ist das die neueste Lage?« Innerhalb der zahlreichen Fünftage, die mittlerweile vergangen waren, hatte Erlaucht Seans Pardalianisch einen erkennbar malagoranischen Akzent angenommen, und er lächelte, als der Engel nickte. Dann trat er näher an die Karte heran und beugte sich neben Harry noch weiter vor, um Details der Karte genauer zu studieren.
Hinter den beiden, die ihnen jetzt den Rücken zuwandten, grinste Tibold Stomald an, und der Priester erwiderte das Lächeln, auch wenn er erneut einen neidvollen Stich verspürte. Für Tibold war es einfacher,
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