Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Rotschopf glaubt zunächst an einen Zusammenstoß auf der Autobahn, dann realisiert er, daß es das doch nicht war, und geht so schnell wie eine alte Tapete zu Boden. Die Pranken der zwei Gorillas schweben reglos in der Luft, zwei Millimeter von ihren Knarren entfernt, so geschockt sind sie von der Kanone, die der verblüffend heldenhafte Lino den beiden vor die Nase hält.
Dahmane Faid wiehert drauflos, nicht die Spur beeindruckt ist er.
Ich trete vor, um ihm aus nächster Nähe die Stirn zu bieten: »Sie sind bestenfalls ein gutartiges Geschwür, Monsieur Faid.«
»Ihr Labor liefert schlechte Analysen.«
»Denke kaum. Noch was: ich habe einen Horror vor falscher Frömmigkeit.«
»Kommen Sie mit meiner Gebetskette nicht klar?«
»So ist es.«
Von neuem läßt er sie durch die Finger gleiten.
Er lacht höhnisch auf: »Ich versichere Ihnen, ich bin ein gläubiger Mensch.«
Mit einer Kopfbewegung weise ich meine Männer zum Rückzug an.
Dahmane Faid verfolgt mich mit seinem Sarkasmus:
»Heh, Derrick! Warum zweifeln Sie an meinen Worten? Ich bin gläubig. Mein Glaube ist so echt wie meine Gebetskette. Sag es ihm, Abder, daß ich gläubig bin.« Er bricht in polterndes Gelächter aus. »Derrick, nicht Gott ist es, der den Menschen nach seinem Bilde erschafft. Die Natur will, daß jeder seinen eigenen Gott inkarniert. Mir ist es gleich, ob meiner einen Bart von der Länge mehrerer Lichtjahre hat oder grauenhafte Hörner auf dem Schädel. Alles, was zählt, ist, daß man an ihn glaubt … Heh! Derrick …«
Ich mache auf der Stelle kehrt, bin mir jeder meiner Bewegungen bewußt und gesegnet durch jeden Tropfen Schweiß auf meiner Stirn. Ich fühle mich um dreißig Jahre zurückversetzt, in die Zeit, da meine Brust vor Slogans überquoll und ich mich im Morgenlicht wie betört anschickte, die Welt zu erobern. Schlagartig lösen sich die Kinderschrecks auf, ihre Allmacht erblaßt, und es bleibt nichts als die Befriedigung zurück, die man aus einer gut gelernten Lektion bezieht.
Dahmane Faid begreift, daß ich inzwischen erwachsen bin. Er wird nervös. Und nur wegen dieser winzigen, kaum merklichen Schwäche, die er da durchscheinen läßt, bricht es aus mir heraus: »Wenn Sie so herumschreien, Dahmane Faid, beweist das letztlich nur, daß Sie, welchen Gott auch immer Sie inkarnieren, innerlich so hohl wie ein Dudelsack sind.«
Sein Adamsapfel verklemmt sich in Höhe seines Kinns. Ich setze seinem Blick nach und halte ihn genau in dem Moment fest, als er zum zweiten Einschüchterungsversuch ansetzen will. Unsere Atemzüge vermischen sich. Man könnte den Staub auf den Fliesen knirschen hören.
Ich drehe mich um und gehe davon - in der Gewißheit, wenigstens einmal im Leben den Teufel im richtigen Moment am Schwanz gezogen zu haben.
12
Der Belvedere ist ein fantastischer Ausflugsort. Früher kamen die Liebespärchen von den angesehensten Gymnasien der Stadt in ihren Cabrios hierher, um aufs Meer hinaus zu blicken und ihre Unterhöschen zu tauschen. Man konnte sie von weitem an ihren bunten, im Wind knisternden Tüchern und ihrem girrenden Lachen erkennen. Und um sie herum, umgeben von bunten Lichtern und Vogelgezwitscher, führten Hunde ihre Herrchen aus, hingen alternde Damen am Arm ihrer Gigolos, umschwärmten ganze Sippen an den Wochenenden die weißen Tische der Milchbars. Die Tage waren so flachsblond wie der Sommer. Die Mädchen dufteten nach Jasmin, die Augen der Kinder strahlten wie tausend Juwelen.
Heute hat der Belvedere nur wenig von seiner Pracht eingebüßt. Nach dreijähriger Abstinenz sind die Turteltäubchen wieder da, doch ihr Tauschhandel ist etwas zurückgegangen. Und die Sippschaften, die sich noch auf die Esplanade wagen, schauen zweimal, wohin sie ihre Füße setzen.
Tief unten schiebt die Stadt ihre Menschlein wie Mosaiksteine hin und her. Unter der Hitzeglocke wirkt sie wie eine immense Baustelle. Jenseits der Straße, die zum Flughafen führt, plätschert nonchalant das Mittelmeer. Die Schiffe am Horizont vertreiben sich die Zeit, indem sie ihre Anker nach dicken Fischen auswerfen.
Doch das alles spielt sich hinter meinem Rücken ab. Ich bin nicht zum Belvedere gekommen, um die guten alten Zeiten aufleben zu lassen. Heute früh hat ein anonymer Anrufer uns auf ein verdächtiges Fahrzeug in der Tiefgarage B hingewiesen. Wir haben zwei Stunden gebraucht, um die Örtlichkeiten von Menschen und Autos zu räumen.
Das fragliche Fahrzeug ist ein Taxi. Es steht neben einem Pfeiler
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