Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers
Stiefsohns?«
»Na, und ob!«
»Und was sagte er?«
»Nichts. Er fing nur an zu lachen. Er sagte, dass sein Stiefsohn diesen Launen auch in Deutschland nachgab. Dass er aber harmlos wäre. Die kleinen Mädchen wollte er lediglich küssen, erklärte er Signor Speciale. Aber da frag ich mich doch: Lieber Junge, wozu musst du dich denn nackt ausziehen, wenn du sie nur küssen willst?«
»Gut, für den Augenblick können Sie gehen. Halten Sie sich aber zur Verfügung.«
Dipasquale hatte ihm spontan Ralfs Kopf geboten, nicht auf einem silbernen Tablett, sondern auf einem goldenen. Umso mehr, als der Bauleiter bis zu diesem Augenblick ja nichts von dem tot aufgefundenen Mädchen wusste. Daher hatte er nur die Qual der Wahl zwischen zwei Sexbesessenen: dem Landvermesser Spitaleri und Ralf. Allerdings gab es da zwei kleine Probleme: Der Stiefsohn war während der Rückreise nach Deutschland verschwunden, und Spitaleri war an diesem verdammten 12. Oktober auf Reisen.
Sieben
Um die Zeit bis zu Fazios Rückkehr irgendwie totzuschlagen, entschloss er sich, die Spurensicherung anzurufen. »Ich möchte mit Dottor Arquà sprechen. Hier ist Commissario Montalbano.«
»Bleiben Sie am Apparat.«
Er hatte ausreichend Zeit, in Gedanken das Sechser-, Siebener-, Achter- und Neuner-Einmaleins durchzugehen. »Commissario Montalbano? Tut mir leid, aber Dottor Arquà ist im Augenblick ziemlich eingespannt.«
»Und wann wird er wieder ausgespannt?«
»Ich bitte Sie, rufen Sie in zehn Minuten noch einmal an.«
Ziemlich eingespannt? Wer's glaubt, wird selig. Dieses Riesenarschloch wollte sich doch nur bitten lassen, sich rar machen. Aber wie kann ein Arschloch zur Rarität werden? Was gibt es denn da noch zu übertreffen?
Er stand auf, ging aus dem Zimmer, kam bei Catarella vorbei.
»Ich gehe einen Espresso am Hafen trinken. Bin gleich wieder da.«
Sobald er draußen war, wurde ihm klar, dass das keine so gute Idee war. Auf dem Parkplatz herrschte eine ähnliche Temperatur wie vor einem Kaminfeuer. Er berührte die Türklinke seines Autos und verbrannte sich. Fluchend ging er wieder hinein. Zuerst blickte Catarella ihn völlig verdattert an, dann sah er auf die Uhr. Er konnte nicht verstehen, wie der Commissario es fertiggebracht hatte, in so kurzer Zeit zum Hafen zu fahren, einen Espresso zu trinken und wiederzukommen. »Catarella, mach mir einen Espresso.« «Dottori, noch einen? Haben Sie denn nicht gerade eben erst einen getrunken? Zu viel Kaffee ist nicht gut.«
»Recht hast du. Lassen wir's.«
»Ich möchte bitte mit Dottor Arquà sprechen, sofern er nicht mehr eingespannt ist. Hier ist noch einmal Montalbano von vorhin.«
»Bleiben Sie am Apparat.«
Diesmal kein Einmaleins, sondern der peinliche Versuch, zuerst eine Melodie zu singen, die wohl von den Rolling Stones gewesen sein musste, und danach eine, die wahrscheinlich von den Beatles stammte, der ersten aber ziemlich ähnelte, weil er eigentlich keinen Ton richtig halten konnte.
»Dottor Montalbano? Dottor Arquà ist immer noch ziemlich eingespannt. Wenn Sie wollen, können Sie …«
»…in ungefähr zehn Minuten noch mal anrufen, ich weiß.«
Wie konnte man nur so viel Zeit mit einem Trottel verplempern, der aller Wahrscheinlichkeit nach ein diebisches Vergnügen dabei empfand, ihn warten zu lassen? Er knüllte zwei Blätter Papier zusammen, formte daraus eine Kugel und steckte sie sich in den Mund. Dann klemmte er die Nasenflügel mit einer Klammer zusammen und wählte noch einmal die Nummer der Spurensicherung. Er sprach jetzt in einem toskanisch angehauchten Tonfall. »Hier ist der bevollmächtigte Minister und leitende Supervisor Gianfilippo Maradona. Verbinden Sie mich dringend mit Dottor Arqua.«
»Sofort, Eccellenza.«
Montalbano spuckte die Papierkugel aus und nahm die Klammer ab. Eine halbe Minute danach hörte er Arquàs Stimme.
«Buongiorno, Eccellenza. Zur Ihrer Verfügung.«
»Entschuldige mal, aber wieso nennst du mich Eccellenza? Hier ist Montalbano.«
»Aber man hat mir doch gesagt, dass …«
»Nenn mich ruhig weiter Eccellenza, das gefällt mir.« Arquà blieb eine Weile stumm. Man spürte, dass er versucht war aufzulegen. Dann hatte er eine Entscheidung getroffen. »Was willst du?«
»Hast du mir was zu sagen?«
»Ja.«
»Sag's mir.«
»Das heißt: bitte.«
»Bitte.«
»Frag.«
»Wo ist sie ermordet worden?«
»Wo sie gefunden wurde.«
»Genau dort?«
»Neben dem, was einmal die Fenstertür des Wohnzimmers werden
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