Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
Vom Netzwerk:
Utensilien zu durchwühlen, während er von Zeit zu Zeit einen flüchtigen Blick die Straße hinunterwarf, um die Zahl der schwer bewaffneten, schreienden und auf sie zurennenden Männer (erst) zu zählen, beziehungsweise (dann nur noch) zu schätzen.
    »Ich habe das noch nie gemacht«, verkündete er und fischte ein langes, rostiges Spitzeisen heraus, das er gründlich inspizierte, »habe es mir aber von Männern erklären lassen, die es schon gemacht haben.«
    »Männern, die Seeschlachten verloren haben und zu Galeerensklaven gemacht wurden«, fügte Jack hinzu.
    Dappa wischte Heu vom Hinterteil der Kanone weg und schob das Spitzeisen in das Zündloch.
    »Helft, das Boot zu beladen!«, brüllte Jack Moseh und Nyazi zu. Dappa bat er: »Hör um Gottes willen auf, dieses dämliche Zündloch zu reinigen!«
    »Wärest du bitte so freundlich, den Mündungspropfen zu entfernen?«, gab Dappa zurück.
    Jack hastete um den Wagen herum an die Mündungsseite, wobei er der heranstürmenden Horde den Rücken zuwandte – was ihm nicht leichtfiel -, griff nach oben und riss einen runden hölzernen Pfropf heraus, der in die Geschützmündung gestopft worden war. Er wurde ihm mit einer Pistolenkugel aus der Hand geschossen.
    Durch Dappas Ärmel, aber anscheinend nicht durch seinen Arm, hatte sich ein Pfeil gebohrt. Dappa betrachtete gerade eine langstielige Ladeschaufel. »Da du es heute so eilig hast«, verkündete er, »werden wir uns die übliche Prozedur des Rohrreinigens ersparen.« Und schon tauchte er mit einem knirschenden Geräusch die Schaufel in einen Behälter, der von der Seitenwand des Wagens vor Jacks Blicken verborgen wurde, und zog sie, gefüllt mit einem groben schwarzen Pulver, wieder heraus. Während er sie in der einen Hand balancierte, nahm er einen Spachtel mit Kupferklinge in die andere und streifte das überschüssige Pulver ab; dann schwenkte er die Ladeschaufel, aufs Äußerste darauf bedacht, nichts zu verlieren, mit beiden Händen hinüber zu der Kanonenmündung und führte sie anfangs langsam, dann aber immer schneller Hand über Hand ein, bis der Stiel der Ladeschaufel vollständig in dem Rohr verschwunden war. Schließlich
ließ er sie eine halbe Drehung vollführen, um sie auszuleeren, und fing behutsam an, sie wieder herauszuziehen.
    Jack war bis jetzt hin- und hergerissen gewesen zwischen dem dringenden Wunsch aufzupassen, dass Dappa es richtig machte, und einer verständlichen Sorge wegen dem, was da heranstürmte. Die vordersten der Angreifer als Irreguläre zu bezeichnen, hätte ihre Disziplin, ihre Motive, ihre Bewaffnung und ihr Äußeres über die Maßen aufgewertet; sie waren Diebe, habsüchtige Gaffer, ethnische Kleingruppen und ein paar beim Anblick der Goldbarren aus dem Glied getretene Janitscharen. Als sie der Kanone ansichtig wurden, waren die meisten von ihnen unsicher geworden. Aber mittlerweile hatte sich herumgesprochen, dass der Ladevorgang noch nicht abgeschlossen war. Unterdessen hatten die französischen Züge sich neu formiert und begannen in ordnungsgemäßen Reihen den Hügel hinabzumarschieren, wobei sie die Straße auf ganz ähnliche Weise leerräumten, wie der Wischer das Kanonenrohr leergeräumt hätte, wenn Dappa nicht beschlossen hätte, auf diesen Schritt zu verzichten. Das mutigere Gesindel, das aus seinen Verstecken ausschwärmte, vermischte sich mit dem weniger mutigen, das von diesem Rammbock aus französischen Truppen die Straße hinuntergetrieben wurde, und alle zusammen bildeten …
    »Eine Lawine, so behaupteten jedenfalls gewisse Galériens alpins , mit denen ich gerudert bin, kann durch den Lärm von Kanonenfeuer ausgelöst werden.« Dappa hatte sich das Hemd vom Leib gerissen, es fest zusammengerollt und tief in das Rohr hineingestopft und füllte jetzt mit vollen Händen Schrot ein. Dem ließ er seinen Turban folgen, und zum Schluss nahm er seinen langen Ansetzkolben. »Ich bin gespannt, ob wir auf diese Weise eine Lawine aufhalten können.« Als er sich vorbeugte, um den Zylinder des Ansetzers in die Mündung zu schieben, fielen ihm seine langen, von ihrer Umwicklung befreiten Locken ins Gesicht.
    »Lass den Ansetzer ruhig drin – auf die Entfernung wirkt er wie ein Wurfspieß«, war Jacks letzter Rat an Dappa, bevor er sich umdrehte und begann, mit großen Schritten den Hügel hinauf dem Mob entgegenzugehen. Weit vor dem ganzen Haufen liefen nämlich ein oder zwei Krummsäbelschwinger, die womöglich früh genug ankamen, um die letzten Handgriffe der

Weitere Kostenlose Bücher