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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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bevorzugten Marinesoldaten abgestellt: solche, die ein wenig zu alt geworden sind, um sich an Enterhaken von Schiff zu Schiff zu schwingen.«
    »Ja, so sahen sie auch aus. Und wenn ich Euch eine taktlose Frage stellen darf, Mademoiselle, wie bezahlt Ihr alle diese Dienerinnen, wo
Ihr doch nach Euren eigenen Worten keinen Sou in harter Währung besitzt?«
    »Eine vernünftige Frage. Die Antwort liegt in meinem Status als Gräfin und Wohltäterin des französischen Staatssäckels. Deswegen war Leutnant Bart bereit, seine Börse zu öffnen und mir Geld zu leihen.«
    »Gut. Es schickt sich zwar nicht, aber Ihr hattet eindeutig keine Wahl. Wir werden versuchen, diese Verhältnisse zu verbessern. Eines muss ich aber noch verstehen, wenn ich Euch helfen soll, nämlich das Bündel von Briefen aus Irland.«
    »Nachdem ich zwei Wochen auf dem Boot gewohnt hatte, erreichte mich endlich meine Post, und eines Tages bekam ich dieses in Zelttuch eingenähte Päckchen, das in Belfast an mich aufgegeben worden war. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Korrespondenz, die man Monsieur le Comte d’Avaux in Dublin vom Schreibtisch gestohlen hatte. Sie enthielt viele Briefe und Dokumente, die französische Staatsgeheimnisse sind.«
    »Und da Ihr wusstet, dass d’Avaux hierher unterwegs war, um Euch der Spionage zu beschuldigen, habt Ihr sie als Verhandlungsmasse behalten.«
    »So ist es.«
    »Ausgezeichnet. Gibt es hier einen Platz, wo ich sie ausbreiten und durchgehen kann?«
    An dieser Stelle verspürte Eliza, obwohl sie es niemals zeigen würde, ein plötzliches Aufwallen von Zuneigung für Rossignol. In einer Welt voller Männer, die nur mit ihr ins Bett gehen wollten, war es einigermaßen tröstlich zu wissen, dass es einen gab, der, wenn er die Gelegenheit dazu bekam, lieber einen großen Stapel gestohlener Briefe las.
    »Ihr könnt Brigitte bitten – das ist die kräftig gebaute Holländerin -, Euch in die Bibliothek zu führen«, sagte Eliza. »Ich werde den Hafen im Auge behalten. Ich glaube, die Barkasse da drüben, die gerade um das Ende der Pier herumfährt, könnte d’Avaux befördern.«
    »Etwa hierher?«, fragte Rossignol mit scharfer Stimme.
    »Nein, zum Flaggschiff von Leutnant Bart.«
    »Gut. Ich brauche wenigstens ein bisschen Zeit.«
     
    Eliza verfügte sich in ein Obergeschoss des Hauses, wo vor einem Fenster ein Stativ mit aufmontiertem Fernrohr stand, und beobachtete,
wie Leutnant Bart in der Kajüte seines Flaggschiffes d’Avaux empfing. Diese Kajüte erstreckte sich über die ganze Breite des Achterkastells und empfing ihr Licht durch eine Reihe von Fenstern, die achteraus blickten; diese krümmten sich zu beiden Seiten wie eine große, um das Heckwerk des Schiffes geschlungene, goldene Schriftrolle, sodass kleine Türmchen entstanden, aus denen Jean Bart backbords oder steuerbords nach vorn schauen konnte. Der Himmel war klar, und die Nachmittagssonne schien durch diese Fenster hinein.
    Das Gespräch ging wie folgt vonstatten: erstens höfliche Begrüßung und Geplauder. Zweitens ein kurzes Innehalten und Ändern der jeweiligen Körperhaltung (wegen einer kürzlich vollbrachten Heldentat konnte sich Jean Bart noch immer nicht setzen, ohne unter der Qual der Verdammten zu leiden, und d’Avaux, stets der Gentleman, verschmähte jeden ihm angebotenen Stuhl). Drittens ein ausführlicher und, wie Eliza nicht bezweifelte, höchst unterhaltsamer Bericht von Leutnant Bart, untermalt von diversen Dreh- und Schwenkbewegungen seiner Hände. Langsam steigende Ungeduld bei d’Avaux, erkennbar an seiner Haltung. Viertens Befragung von Bart durch d’Avaux, in deren Verlauf Bart ein Hauptbuch hochhielt und mit dem Finger mehrere Posten abhakte (vermutlich lieferte er ein accompt sämtlicher Schmuckstücke, Börsen etc., die man Eliza abgenommen hatte.) Fünftens sprang d’Avaux mit hochrotem Gesicht auf und mahlte eine Zeit lang heftig mit den Kiefern; Bart war zunächst verblüfft und erschlaffte leicht, versteifte sich dann jedoch zu einer würdevoll gekränkten Pose. Sechstens traten beide Männer ans Fenster und sahen Eliza an (so jedenfalls erschien es dieser durch das Fernrohr; sie konnten sie natürlich nicht sehen). Siebtens rief man Adjutanten und legte Röcke und Hüte an. Was für Eliza das Stichwort war, Brigitte, Nicole und die anderen Dienerinnen ihres kleinen Haushalts zu rufen und mit dem Ankleiden zu beginnen. Sie borgte sich ein Kleid aus dem Schrank von Madame la Marquise d’Ozoir. Es stammte

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