Coogans Fluch (German Edition)
sie diese Stelle passiert hatten, war ihm die Baumgruppe als perfekter Rastplatz aufgefallen.
„Was zum ...“ Jonathans Stimme echote durch die Höhlen, als ihm an einer von Kalkablagerungen überwucherten Schräge die Füße wegrutschten. Er knallte auf den Rücken, schlitterte rücklings abwärts, spürte plötzlich keinen Boden mehr und stürzte. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen, Lichtpunkte tanzten vor seinen Augen und jeder Atemzug fuhr ihm wie ein Messerstich in den Brustkorb. Flach atmend blieb der Jäger liegen, wartete darauf, dass die Schmerzen nachließen.
Die Fackel hatte er während des Sturzes verloren. Sie war irgendwo zu Boden gefallen und erloschen. Finsternis umgab ihn, nur sein keuchender Atem und das Plätschern des Sickerwassers durchdrangen diese schweigsame Welt.
Irgendwann hatte Jonathan den Wasserlauf verlassen müssen und auf der Suche nach einem Ausgang, Gänge und Hallen durchschritten. Mit der Zeit war die Feuchtigkeit sogar durch die Eskimokleidung gedrungen, sein Holzvorrat bedenklich geschrumpft und außer einer Dose Bohnen und zwei Streifen Trockenfleisch waren seine Vorräte verbraucht. Er biss die Zähne zusammen. Er schien sich wenigstens eine Rippe gebrochen zu haben. Was für eine vertrackte Situation. Mehrmals hatte er dem Tod ins Angesicht geblickt, hier jedoch richtete er allein mit Kraft und Zähigkeit nicht viel aus. Aber er vertraute auf Miriam. Sie hatte ihn vor der Lawine bewahrt und in diese dunkle Welt geführt. Stöhnend richtete sich der Jäger auf, ignorierte die Schmerzen und schnallte den Rucksack ab. Er benötigte geraume Zeit, bis es ihm gelang eine frische Fackel zu entzünden und gänzlich aufzustehen. Er benötigte einen trockenen Platz, an dem er sich versorgen und für einige Stunden schlafen konnte. Die ersten Schritte ließen ihn schmerzhaft zusammenzucken, aber nach einigen Augenblicken ging es spürbar besser und er wagte etwas tiefer zu atmen. Der Schmerz blieb erträglich und allmählich wurden seine Bewegungen flüssiger.
Erst nach langen Suchen fand er einen geeigneten Platz. Eine kleine Felskammer, die aussah wie von Menschen geschaffen. Zufrieden registrierte Jonathan den trockenen, feinen Sand des Bodens, schichtete den größten Teil seines Holzvorrates auf und bereitete sich daneben ein Lager. Eigentlich hätte er sich zwingen müssen, etwas zu essen, aber dazu war er viel zu erschöpft und im Grunde war es ihm egal. Er legte sich in seinen Schlafsack und zog die Kapuze tief übers Gesicht. Aber er schlief nicht ein. Stationen seines Lebens erschienen wie vorbeischwebende Bilder in seinen Gedanken. Plötzlich sah er Miriam, hörte ihre Stimme, die von allen Seiten zu sprechen schien und ihn mahnte, sich zu erinnern. Wie früher, als Miriam seine Hand genommen hatte, wenn sie zusammen in der Stadt gewesen waren, ergriff nun ihre Stimme seinen Geist und führte ihn weit zurück.
Jonathan war vierzehn Jahre alt. Drei Jahre waren seit dem Tod seiner Familie vergangen, doch die Erinnerung daran wollte nicht verblassen. Trotz der Fürsorge, die ihm die Handerssons und ihre drei Söhne entgegenbrachten, gelang es ihm nie, sich in die Familie einzugliedern. Genaugenommen bemühte er sich gar nicht darum. Seit jenem Tag, an den seine Familie starb, war ihm alles bedeutungslos geworden. In diesen drei Jahren sprach er kaum zehn Sätze mit den Handerssons, doch fiel er ihnen auch nicht zur Last. Deutlich hörte er in seinem Innern die Stimme des Vaters, die ihn mahnte, wie wichtig es für einen Mann sei, sich nichts schenken zu lassen. Ein Mann müsse auf eigenen Beinen stehen und sich seinen Unterhalt mit den eigenen Händen verdienen.
So half Jonathan, ohne dass man ihn erst hätte bitten müssen, bei allen Arbeiten, die auf einer Farm anfielen. Dank seiner Kraft und Geschicklichkeit ersetzte er einen vollwertigen Mann. Nicht nur aus diesem Grund drückte der alte Handersson mehr als einmal beide Augen zu, wenn Jonathan plötzlich in eine Art Raserei verfiel und über die Farm tobte. Sobald er aber aus diesen rauschartigen Zuständen erwachte, reparierte er unverzüglich das von ihm Zerstörte. Nur ein einziges Mal, als er während eines Streites dem ältesten Sohn das Handgelenk brach, bezog er Prügel vom alten Handersson.
„Hör mir gut zu, Jonathan“, sagte er anschließend. „Ich habe viel Verständnis für deinen Schmerz und deinen Zorn. Dein Vater war mir in langen Jahren ein guter Freund und mir
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