Crescendo
verhüllte.
»Danke. So, wenn das alles ist …«
Cooper ging, den unangetasteten Kaffee noch in der Hand, und rieb sich den rechten Oberschenkel, um wieder 103
Gefühl hineinzubekommen. Den Besuch hätte er sich besser sparen sollen.
Hinter ihm schloss Fenwick die Tür. In der Ungestörtheit seines Büros setzte er sich schwerfällig hin und rieb sich die Stirn, um den dumpfen Schmerz zu vertreiben, der ihn seit der Beerdigung quälte. Er konnte kaum schlafen, wollte aber keine Tabletten nehmen. Monique fehlte ihm wieder genauso schrecklich wie damals, als sie ins Krankenhaus gekommen war.
Die Kopfschmerzen waren mit der glühenden Vormittags-sonne stärker geworden, und die Wirkung der Schmerztablet-ten hatte nachgelassen. Er kramte in der Schreibtischschub-lade nach Aspirin und fand einen halben Streifen. Obwohl er wusste, dass es besser war, noch eine Stunde zu warten und höchstens zwei zu nehmen, schluckte er drei mit dem Rest seines Kaffees. Es klopfte zögernd an der Tür.
»Telefon für Sie. Ein Anruf von Claire Keating.« Anne sah ihm kurz ins Gesicht und nahm seine leere Tasse mit, um nachzuschenken.
»Claire.«
»Andrew, endlich. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie Leid mir das mit Ihrer Frau tut. Wie geht’s den Kindern?«
»Einigermaßen. Ich bin etwas in Eile. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich weiß, der Zeitpunkt ist nicht gerade günstig, aber ich würde Sie gern treffen. Ich schreibe eine Fallstudie über die McMillan-Ermittlungen, und der Termin drängt. Ich hätte Sie sonst diese Woche nicht damit belästigt.«
»Die Sache liegt doch Jahre zurück.«
»Ja, aber sie bedeutet einen Durchbruch in der forensischen Psychiatrie, und Sie können mir sicher einiges darüber sagen. Sie haben die Ermittlungen geleitet.«
»Verstehe.« Er versuchte, nicht allzu unwillig zu klingen, 104
als sie einen Termin verabredeten. Dann legte er erleichtert auf.
Der Gefangene hatte zugenommen. Er machte zwar jeden Tag Liegestütze, Kniebeugen und Sit-ups, aber er war trotzdem schwerer geworden. Er stellte sich vor, wie gelbe Fett-kügelchen sich unter seiner Haut sammelten, und der Gedanke ekelte ihn an. Die seltenen Male, die er auf den Hof durfte, joggte er die ganze Stunde lang, mit kurzen Sprinteinla-gen. In der viel zu kurzen Zeit konnte er das Brennen in den Muskeln spüren, und der Schmerz war herrlich. Es waren kurze orangerote Blitze in einem ansonsten grauen Leben.
Aus irgendeinem Grund durfte er plötzlich nicht mehr an den Computer. Die Direktorin hatte sich weder durch Bitten noch durch Argumentieren erweichen lassen. Stattdessen hatte der Doktor ihm die Brettversion von THE GAME gebracht. Griffiths hatte dem Spiel in seiner Zelle keine Beachtung geschenkt, weil er beleidigt war. Über eine Woche lang hatte es unangetastet in Plastik eingepackt dagelegen und Staub angesetzt.
Er war ein Großmeister gewesen. Sein Punktestand hatte bei der magischen und rein zufälligen Zahl 666101 gelegen.
Das war der unangefochtene Rekord für den Dämonenkönig, zumindest damals. Einer der vielen Gründe, warum er unbedingt wieder freikommen wollte, war der, dass er sich vergewissern musste, ob seine Überlegenheit noch immer unangetastet war. Was waren schon Kunststofffiguren gegen die Realität eines Live-Spiels?
Heute war der Tiefpunkt seit seiner Verhaftung gewesen, und er konnte sich selbst nicht ausstehen. Er hatte lange Fingernägel und durfte kein Maniküre-Set haben, um sie zu pflegen. Sein Haar rollte sich über dem Kragen, ein ganzes 105
Stück länger, als er es je getragen hatte. Die Gefängnishose kniff ihn in der speckigen Taille. Und gestern Abend hatte er das Brettspiel ausgepackt.
Der Anblick des Dämonenkönigs aus plumpem, schwarzem Kunststoff hatte ihm Tränen in die Augen getrieben. Es war grotesk, als hätte seine eigene Gewichtszunahme die Form seines Alter Ego verschwommen gemacht. Er hatte die Figur angewidert angestarrt und war dann schlecht gelaunt auf die Pritsche gesunken. Zum ersten Mal war ihm der Gedanke gekommen, dass er womöglich den Rest seines Lebens in dieser Zelle fristen musste, wie es der Richter gewollt hatte. Als er vor Tagesanbruch erwachte, war er noch immer deprimiert und dachte zum ersten Mal an Selbstmord.
Es war paradox, dass er zuvor eine suizidale Neigung vorgetäuscht hatte, ohne je die Absicht zu haben, sich etwas an-zutun. Jetzt waren die Behörden entspannter, durch seine Schauspielerei überzeugt, dass er sich langsam mit seinem Schicksal
Weitere Kostenlose Bücher