Crossfire 2: Feuerprobe
gehört hatte.
»Nein«, erwiderte Julian so ruhig, dass Alex
überlegte, ob Ashrafs Bemerkung vielleicht gar nicht boshaft
gewesen war. Sie hatte sie vielleicht einfach nur so verstanden.
Während der kühlen Stunden vor Sonnenaufgang blieb Jake
allein.
Er saß in seinem Stuhl im Schlafzimmer und traute sich
nicht, auch nur ein Glied zu rühren, weil er nicht genau wusste,
ob Julian Martins Männer auch alle fort waren. Die Dunkelheit
wollte kein Ende nehmen, und Jake drohte in seinen Grübeleien zu
versinken. Ihm war, als würde ihn jeder Satz von Duncan, an den
er sich erinnern konnte, wie eine neuerliche Flutwelle
hinabdrücken.
»Weil ich das alles schon einmal erlebt
habe.«
»… so verhasst war er. Sein Bündnis des
Dritten Lebens hat Dinge getan, um an der Macht zu
bleiben…«
»Als der Leichnam des chinesischen Governeurs mit Spuren
von Folter gefunden wurde…«
Und dann vermischte sich das, was er Jake gesagt hatte, mit den
Worten, die Duncan mit seiner widerhallenden Schauspielstimme auf der
Bühne zum Besten gegeben hatte:
»›Und oft, um uns zu unserm Verderben zu
verleiten,
Raunen die Werkzeuge der Finsternis uns Wahrheiten zu;
Locken uns mit unschuldigen Kleinigkeiten,
Die Verrat von furchtbarster Folge in sich tragen.‹«
Nicht weniger als Alex und Ashraf Shanti hatte auch Jake alles
geglaubt, was Julian Martin ihnen erzählt hatte. Jake, der das
alles schon mal auf der Erde erlebt hatte und es hätte besser
wissen müssen. Jake hatte zugehört, wie dieses Werkzeug
der Finsternis Wahrheiten über ihre unzureichenden
Verteidigungsmaßnahmen erzählte, um die Menschen zu ihrem Verderben zu verleiten und Greentrees durch Verrat zu
gewinnen. Greentrees war darauf eingegangen, und die Folgen würden tatsächlich furchtbar sein…
Im Theater hatte Jake geglaubt, dass Duncan seinen Macbeth gezielt für Julian Martin aufgeführt und seinen
mächtigen Bruder hatte beeindrucken wollen. Jetzt erkannte er,
dass Duncan Martin für Alex gespielt hatte. Er hatte sie warnen
wollen. So sinnlos, als würde man einen herabstürzenden
Stein vor der Schwerkraft warnen.
Aber er, Jake, hätte es verstehen müssen.
Als endlich ein blasses Licht durch das Fenster fiel, kam er zu
dem Schluss, dass Julian Martins Leute fort sein mussten. Unter
Schmerzen rollte er den Stuhl zur Schlafzimmertür, machte sie
auf und blickte nach draußen.
Nichts.
Das Brot und die Marmelade standen noch immer auf dem Tisch. Das
Messer lag dort, wo er es abgelegt hatte, als Duncan Martin
hereingekommen war. Katous saß mitten auf dem Tisch und putzte
sich; irgendwie hatte er Petrowskis »Säuberungsaktion«
überstanden. Alex’ Jacke hing achtlos über einem
Stuhl. Das Feldbett, auf dem Cal Johnson geschnarcht hatte, war leer,
die Bettwäsche zerwühlt.
Jake beugte sich vor und blickte zwischen den Knien hindurch.
Keine wie auch immer gearteten Flecken auf dem Boden zeigten, wo zwei
Leichen gelegen hatten.
War das alles wirklich geschehen?
Er schloss die Augen und zwang sich, ruhig durchzuatmen. Sollte er
die Eingangstür öffnen? Wenn Julian Martin eine Wache
zurückgelassen hatte, flog Jakes vorgetäuschter
Schlaganfall auf. Aber warum hätte Julian eine Wache
zurücklassen sollen? Er hielt Jake nicht mehr für eine
Bedrohung, und Alex stand auf seiner Seite.
Als Jake daran dachte, dass Alex das Bett mit diesem Dreckskerl
teilte, schoss die Wut wie eine Lohe in ihm hoch. Er kämpfte
dagegen an. Er musste jetzt klar denken.
Er würde es mit der Tür riskieren.
Sie ließ sich nur schwer öffnen. Er hantierte an der
Klinke herum, stieß die verdammte Tür mit seinen schwachen
Armen schließlich weit auf, dann schob er zentimeterweise den
Stuhl nach draußen. Es war später, als er gedacht hatte;
die Sonne stand bereits hoch über dem Horizont. Menschen
schritten vorüber, auf dem Weg zur Arbeit.
»Hilfe!«, schrie Jake so laut er konnte.
»Hilfe…« Eine Sirene übertönte ihn.
Der Evakuierungsalarm.
Jake konnte seine Wut nicht länger im Zaum halten. Was hatte
dieses wahnsinnige Ungeheuer Julian Martin jetzt vor? Nicht einen
Augenblick lang glaubte Jake daran, dass ein weiteres Raumschiff im
Greentrees-System aufgetaucht war. Es war eine Täuschung, eine
Lüge, wie alles andere, was Julian Martin getan hatte, um Macht
zu gewinnen und…
Die Sirene heulte immer weiter. Sie war am Mausoleum angebracht,
das sich nur wenige Häuser entfernt befand. Jake presste sich
die Hände auf die Ohren. Alles in ihm bebte
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