Daemonenmal

unbewusst leicht, Verschwiegenheit zu bewahren.
    Ich mache ihnen keinen Vorwurf. An manchen Tagen denkt nicht mal ein Jäger gerne über das nach, womit er seinen Lebensunterhalt verdient.
    Montaigne, dem das schwarze Haar nach allen Seiten vom Kopf abstand, trug eine blau gestreifte Schlafanzughose und darüber ein Hemd samt Anzugjacke. Als ich sein Büro betrat, ließ er gerade eine Handvoll Pillen gegen Sodbrennen in der Hand verschwinden. Er hob den verschlafenen Blick und sah mir in die Augen. Meine zweifarbigen Augen – eins blau, das andere braun – konnten ihn längst nicht mehr beeindrucken. Dafür fiel mir auf, dass er statt der üblichen auf Hochglanz polierten Lederschuhe Pantoffeln trug. Ich sah seine nackten Knöchel.
    Oh mein Gott. Ich blieb wie angewurzelt auf der Türschwelle stehen und legte die rechte Hand auf den Peitschengriff. Das sieht übel aus. „Hi, Monty. Tschuldige die Verspätung, aber ich musste noch einen Trader abliefern. Was liegt an?“
    „Jill.“ Seine Wangen waren käsig und blass. „Du musst dir da bitte mal was ansehen.“
    Wie immer klang er auch diesmal, als könne er es selbst nicht glauben, dass er eine Frau um Hilfe bat, die nur halb so groß war wie er selbst. Ich reiche Monty mit Mühe und Not gerade bis zur Schulter. Aber selbst wenn ich ihm eine Uzi in die Hand drücken und mir besonders wenig Mühe geben würde, könnte er mir nie das Wasser reichen. Aber immerhin – nachdem Michail mich als seinen Lehrling vorgestellt hatte, hatte Monty keinen Tag lang an meinen Fähigkeiten gezweifelt.
    Wären wir mal wieder bei Micha. Verdammt, Jill, konzentrier dich gefälligst. „Pflanze, Tier, Gestein?“
    „Mord.“ Das war meistens der Fall. Monty fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es sträubte sich nach Kräften gegen diese Art der Behandlung und wirkte sogar noch zerzauster.
    „Wie viele Leichen?“ Mein ungutes Gefühl war zu „hochgradigverstört“ übergegangen. Die Talismane in meinem Haar stießen aneinander und klimperten. Mir fiel auf, dass ich mich hängen ließ, und ich stellte mich auf der Stelle wieder aufrecht hin. Nebenbei unterdrückte ich ein Gähnen. Ich wäre auch beim ersten Tageslicht wieder auf den Beinen und würde den ganzen Tag durchmachen. Wenn es sein müsste.
    „Fünf.“
    Das ist ordentlich. Und du holst mich erst jetzt dazu? „Wie frisch?“
    „Zwei Stunden. Ich soll in die Leichenhalle kommen, sobald du aufkreuzt. Stanton wird heute das Aufsägen übernehmen.“ Mehr wollte Montaigne dazu offensichtlich nicht sagen. Ich hörte, wie heftig sein Herz klopfte, und bekam ein richtig mieses Gefühl. Er stank nach Angst, und die stammte nicht wie üblich daher, dass er sich in meiner Gegenwart unwohl fühlte -auch er wollte nicht gerne an die Schattenwelt erinnert werden. Monty hatte beschlossen, dass er nur wissen wollte, wann er mich zu verständigen hatte, und sonst gar nichts. Damit war er cleverer als die meisten.
    „Komm schon, Monty. Rück endlich mit dem Rest raus.“ Ich verschränkte die Arme. „Fünf Leichen? Die man vor zwei Stunden gefunden hat, oder …“
    „Vor zwei Stunden getötet, Kiss. Und sie alle waren Cops.“

4
     
    Die Leichenhalle empfing mich mit ihrem typischen Chemikaliengestank und grellem Neonlicht, und ich war froh über meinen schweren Ledermantel. Egal, wie viele Autopsien ich auch mitmache, die Kälte scheint mir jedes Mal aufzulauern.
    Trotzdem ist mir eine Autopsie zehnmal lieber als ein Tatort. Das nüchterne Licht und die medizinischen Fachbegriffe helfen ein bisschen, sich vom ganz normalen Grauen des Todes zu distanzieren. Wenigstens ein bisschen, gerade genug.
    Manchmal.
    Stanton war käsebleich und keuchte wie ein Asthmakranker, als er hinter uns den Gang entlangschlurfte. Sein Mantel schlackerte ihm um die dürren Schultern, die eine gewisse Ähnlichkeit mit denen einer Vogelscheuche hatten. Auch sein Haar stand ihm in Büscheln vom Kopf ab, außerdem kämpfte er mit einer fiesen Erkältung. „Es sieht komisch aus, Kismet.“ Seine Nase war dermaßen verstopft, dass er sich richtig ulkig anhörte. Epfpfieht komich aupf, Kipfmet.
    „Wie komisch?“ M USS ich sie etwa noch mal ins Jenseits befördern? Lass es bitte keine Scurf sein oder irgend so einen assyrischen Dämon. Für diese Scheiße fehlt mir gerade echt der Schlaf. „Und wenn es schon komisch aussieht, warum hat man die Leichen dann nicht am Tatort gelassen, damit ich sie mir da anschauen kann? Ihr kennt doch die