Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
vorschnell als Abtrünnlinge«, ermahnte der Ismus sie nachsichtig. »Manche Pfade sind verschlungen und locken tief in dunkle Wälder, bevor sie auf den rechten Weg zurückführen. Wir müssen uns in Geduld üben und freundlich zu diesen armen Teufeln sein. Bedenkt nur, wie einsam und leer ihre traurige Existenz sein muss! In diese graue Scheinwelt eingeschlossen zu sein, ohne im wahren Leben zu erwachen! Ohne den Anblick der weißen Türme von Mooncaster, der das Blut in Wallung bringt! Man muss Mitleid mit ihnen haben und sie auf den rechten Weg führen. Habt Zuversicht, dass der Heilige Text, mit ausreichend Zeit, auch sie von ihrer Unwissenheit befreien wird. Wir werden ihnen das Wochenende ihres Lebens bescheren, um alles Leid, das sie erfahren haben, wiedergutzumachen: mit grandiosem Spaß rund um Mooncaster, jeder Menge Spiele und außerdem Festschmäuse, die Meisterin Slab, unserer Hofköchin, alle Ehre erweisen. Und dazwischen stehen immer wieder gemeinsame Lesungen auf dem Programm, die die erlesensten Shakespeare-Darsteller des Landes vortragen werden.«
Die versammelten Journalisten feierten diesen Akt der Nächstenliebe mit tosendem Applaus und auch die Buben und Damen stimmten mit ein. Selbst die Pikdame schien von der Großmut des Ismus gerührt zu sein.
»Entschuldigen Sie bitte«, meldete sich Kate zu Wort.
»Miss Kryzewski!«, begrüßte der Ismus sie. »So treffen wir uns wieder. Wie schön, dass Sie meiner Einladung zurück in unser schönes Land gefolgt sind.«
»Leicht war es nicht«, erwiderte sie. »Es gibt keine Direktflüge mehr von den Staaten nach Großbritannien. Nicht, seit sämtliche Passagiere und Crewmitglieder irgendwo über dem Atlantik offenbar diesem … diesem Zeug ausgesetzt waren. Sam und ich mussten nach Frankreich fliegen und dann den Eurostar nehmen.«
»Ich hoffe, dieses unglückliche Missverständnis zwischen unseren beiden Ländern wird bald der Vergangenheit angehören«, sagte der Ismus. »Für so viele Menschen muss das höchst lästig sein.«
»Dieses ›Missverständnis‹, wie Sie es nennen, wird bestehen, solange Ihr Buch eine unmissverständliche und unmittelbare Gefahr für unsere Bürger darstellt. Seit unserem letzten Treffen hat es in ganz Europa gewalttätige Übergriffe gegeben. In den Städten, wo Dancing Jax gerade übersetzt wird, kam es bislang zu zwei Morden und einem Selbstmord. In einem deutschen Verlag sind sich die Mitarbeiter sogar gegenseitig an die Gurgel gegangen. Behaupten Sie etwa noch immer, dieses Buch sei keine durch und durch negative und zerstörerische Kraft?«
»Veränderungen haben sich schon immer schwergetan«, antwortete der Ismus. »Jeder Fortschritt, den die Menschheit je gemacht hat, musste sich zuerst gegen das Misstrauen der Leute durchsetzen. Es ist dem Menschen in die Wiege gelegt, alles, was er fürchtet und nicht versteht, zu zerstören. Fortschrittshasser schlüpfen so schnell wie Schmeißfliegen, dafür ist ihre Lebenserwartung auch genauso kurz.«
Kate hatte nicht den langen Weg auf sich genommen, um sich noch einmal die gleiche alte Leier anzuhören. Sie war fest entschlossen, mit ihrem neuesten Bericht jedem die Augen zu öffnen und das schillernde Lügengespinst um diesen kranken Wahn zu zerreißen. Und sie wollte den Strippenzieher hinter all dem als den bösartigen Diktator bloßstellen, der er war. Sie wollte, dass der Heilige Magus die Liste der meistgesuchten Männer Amerikas anführte. Mittlerweile hatte man sogar den amerikanischen Botschafter und seinen Stab aus London abgezogen, doch leider hatten sie bereits unter dem finsteren Bann des Buchs gestanden. Gemeinsam mit den Passagieren und den Besatzungsmitgliedern, die Kate vorhin erwähnt hatte, hielt man sie derzeit in der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien fest, um verschiedene psychologische Tests bei ihnen durchzuführen. Vergangene Woche hatte es dann einen tragischen Zwischenfall gegeben, als drei Familien in Kalifornien in Kontakt mit einem eingeschmuggelten Exemplar des Buchs gekommen waren. In anderen Staaten war es unabhängig voneinander zu fünf weiteren Vorfällen gekommen.
Bisher hielt sich der Präsident im Fall des sogenannten Großbritannien-Phänomens allerdings ziemlich bedeckt, was viele Menschen auf die Palme trieb. Die Republikaner sprachen von der Jaxe des Bösen. Kate wollte mit ihrer Reportage den Druck auf den Präsidenten erhöhen, damit er endlich etwas unternahm, vielleicht sogar das Militär einschaltete. Sie
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