Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Sache.«
»Das dachten die Hüterinnen damals auch«, die Oberin lächelt müde, so als hätte sie die Geschichte schon tausendmal erzählt, »und die Schließung der ersten Tore brachte keine Konsequenzen mit sich. Es wurde als große, geniale Neuerung gefeiert und ein Tor nach dem anderen fiel dieser Neuerung zum Opfer. Übrigens war dies der einzige Punkt, an dem eure Großmutter und ich uns einig waren. Sie war strikt gegen die Schließung der Tore. Sie sagte, es hätte Konsequenzen, die uns erst später bewusst werden würden. Und als die Konsequenzen klar wurden, war es zu spät.«
»Welche Konsequenzen?« Ich sehe mir die Karte genauer an und erkenne, dass die Zahlenreihen neben den Toren Daten sind. Die Daten der Schließung. Zahara de los Atunes, 17.03.1911. Paranatinga, 28.12.1899, Kiambi, 06.06.1901.
»Der Druck auf die anderen Tore vervielfachte sich. Zuerst berichteten wenige Hüterinnen über Probleme an ihren Toren, woraufhin vorschnell reagiert wurde. Mit weiteren Schließungen. Die Problematik wurde heruntergespielt. Man hätte doch alles unter Kontrolle. Und kurz darauf bemerkte man, dass man keine andere Wahl mehr hatte, als Tore zu schließen. Sie waren nicht mehr zu halten. Die Hüterinnen waren dem Druck nicht gewachsen. Viele starben bei diesen Kämpfen. Noch mehr wurden verletzt. Lebensgefährlich verletzt. Sie kehrten in den Orden zurück. Alle Hüterinnen, deren Tore geschlossen wurden, leben jetzt im Orden.«
»Maja.«
Die Oberin nickt.
»Maja Okonye. Sie wurde nicht an ihrem eigenen Tor verletzt. Sie und ihre Schwester Katherine wurden zu einem der letzten Tore gerufen. Semuliki im Sommer 1992. Jetzt gibt es nur noch drei Tore. Und eines davon ist Whistling Wing.«
Ihre Finger tippen sacht auf die Stelle der Landkarte, an der Whistling Wing eingezeichnet ist.
»Die Abstimmung war knapp. Aber sie ist zu euren Gunsten ausgefallen. Gegen jede Erwartung«, sagt sie dann unvermittelt.
Ich spüre Indies Blick.
»Ihr müsst verstehen, dass der Orden von langen Traditionen beherrscht wird.«
»Die man jetzt vielleicht brechen muss«, sagt Indie ruhig.
»Ernestine Spencer und Emma Spencer haben bereits damit gebrochen. Sie und ihre Großmutter sowie deren Schwester heckten damals einen Plan aus, der nicht durchführbar ist. Wir standen bis zu diesem Punkt hinter ihnen. Aber was sie vorhatten, sprengte alles bisher Dagewesene. Sie glaubten, sie könnten Azrael vernichten.« Sie schüttelt den Kopf, langsam und bedächtig. »Sie glaubten an die Prophezeiung …«
»Ihr glaubt uns nicht«, falle ich ihr ins Wort. »Aber haben wir heute nicht mehr als genug bewiesen, dass wir es sind?«
»Hochmut kommt vor dem Fall.«
Einen kurzen Moment glimmt die Wut zwischen uns auf, dann wende ich mein Gesicht ab.
»Das Risiko ist für den Orden zu groß.«
»Was bieten Sie uns an?«
Die Oberin streicht sich mit beiden Händen über das Gesicht. Ihre harte Miene weicht für den Bruchteil einer Sekunde dem Ausdruck großer Erschöpfung. Dann fasst sie sich wieder, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und mustert uns eingehend.
»Ich trage große Verantwortung und ich werde mich gemäß dieser Verantwortung verhalten. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass Neuerungen das System gefährden. Eure Vorfahrinnen hielten nicht viel von Regeln und Bestimmungen. Sie brachten sich und den Orden in große Gefahr. Sie schlossen den Vertrag mit den Wölfen, obwohl der Orden strikt gegen diese Vereinbarung war. Sie setzten sich über alles hinweg. Ich will ehrlich mit euch sein.«
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Indie ihre Hand wieder auf ihren Bauch presst. Ihr Gesicht ist blass mit dunklen Ringen unter den Augen.
»Wir trauen euch nicht. Ihr stammt aus einer Linie, die uns immer wieder Probleme bereitet hat. Die, die ihr angehörten, haben sich immer widersetzt. Sie waren verantwortungslos und selbstsüchtig. Deswegen müssen wir zuerst an die Sicherheit des Ordens denken.«
Wieder sieht sie uns durchdringend an.
»Wir bieten euch an, euch wieder im Orden aufzunehmen. Ihr stündet unter unserem Schutz, die bestausgebildeten Hüterinnen wären an eurer Seite. Aber es bedeutet auch, dass wir die Dinge regeln. Begrabt Victoria Spencers Plan und tretet dem Orden bei.«
Indie hält sich sehr gerade, als wir den Raum verlassen, doch kaum hat sich die Türe hinter uns geschlossen, knickt sie neben mir ein. Miss Anderson und Kat eilen auf uns zu, anscheinend haben sie auf uns gewartet.
»Wir hätten nicht
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