Das andere Kind
verzichten. Die Zeitungen
berichteten, dass Jennifer Brankley später ausgesagt habe, sich der Gratwanderung, auf die sie
sich begeben hatte, absolut bewusst gewesen zu sein, dass ihr auch klar gewesen war, sich auf
Kollisionskurs mit dem Gesetz zu befinden. Dennoch habe sie sich den flehentlich vorgebrachten
Bitten des Mädchens nicht verweigern können.
Die
Katastrophe kam ins Rollen, als die Schülerin einer Freundin von den Tabletten berichtete und
diese die Information an ihre Eltern weitergab. Diese hatten sofort die Eltern des Mädchens
verständigt. Schulleitung und Polizei wurden eingeschaltet, die Presse informiert. Jennifer
Brankley hatte sich von einem Tag zum anderen im Mittelpunkt eines gewaltigen Wirbelsturms
gesehen und musste fassungslos gewesen sein angesichts der Häme, der Verachtung, der Wut, die
ihr von allen Seiten entgegenschlug. Vor allem die Zeitungen hatten sich natürlich nicht
enthalten können, die Geschichte nach allen Regeln der Kunst auszuschlachten.
Valerie hatte
Schlagzeilen im Archiv gefunden, von denen: Lehrerin treibt
Schülerin bewusst in Tablettensucht und: Abhängig - welchem Zweck diente
das perfide Spiel der Lehrerin Jennifer B. ? noch die harmlosesten
waren.
Irgendwann war dann
auch herausgekommen, dass Jennifer Brankley selbst gelegentlich Tabletten nahm, um ihren Alltag
zu meistern, ein Umstand, der normalerweise niemanden interessiert hätte, da sie in ihrem Beruf
hervorragend funktionierte, niemals Ausfallerscheinungen gezeigt hatte und wohl auch keineswegs
abhängig von irgendeinem Präparat gewesen war. Einmal jedoch im Strudel von Verdächtigungen,
Anfeindungen und Sensationslust gefangen, war alles und jedes gegen sie verwandt worden, der
Tablettenkonsum - der rasch zu einer gefährlichen
Tablettensucht aufgebauscht worden war -natürlich an erster Stelle,
aber man hätte sicherlich auch noch ihre Ehe oder ihr Vorleben seziert, hätte man
geeignete Spuren für einen spektakulären Aufmacher gefunden. Zumindest in der Gegend um Leeds und Bradford war Jennifer durch
den medialen Fleischwolf gedreht worden.
Am Ende hatte ihre Entlassung aus
dem Schuldienst gestanden.
Valerie erhob sich von ihrem
Schreibtisch und griff nach ihrer Jacke.
Sergeant Reek, der ihr gegenüber
an seinem Schreibtisch saß, blickte auf. »Inspector?«
»Ich fahre zu Paula Foster«,
erklärte Valerie. »Zwar glaube ich nicht, dass es sich bei dem Mord an Fiona Barnes um eine
Verwechslung handelt, aber ich möchte das genau abklären. Und vielleicht mache ich danach noch
einen Abstecher zur Beckett-Farm.«
Auf dem Weg hinunter zum
Parkplatz dachte sie an die weniger erbaulichen Nachrichten des Vormittags. Die
Abschlussberichte der Gerichtsmedizin und der Spurensicherung lagen vor, aber es hatten sich
keine Anhaltspunkte ergeben, die wirklich hätten weiterhelfen können. Es sah so aus, als sei
Fiona Barnes auf der nächtlichen Landstraße ihrem Mörder begegnet und habe, entweder fliehend
oder dazu genötigt, den schmalen Fußweg auf das Gelände der Trevor- Farm angetreten. Der Täter
hatte ihr von hinten mehrfach mit einem großen Stein auf den Kopf geschlagen. Und zwar mit
steigender Kraft und Brutalität. Wie der Arzt am Tatort bereits vermutet hatte, hatte Fiona
Barnes noch gelebt, als der Täter schließlich von ihr abgelassen hatte. Gestorben war sie
tatsächlich erst in den frühen Morgenstunden des Sonntags an einer Gehirnblutung, die einem
Schädelbruch folgte. Der Überfall selbst musste zwischen elf und halb zwölf in der Nacht
stattgefunden haben.
Fiona hatte aller
Wahrscheinlichkeit nach mit dem ersten Schlag das Bewusstsein oder zumindest ihre
Bewegungsfähigkeit verloren, denn es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie sich gegen den
Angreifer zur Wehr gesetzt hatte. Weder waren Hautpartikel unter ihren Fingernägeln noch Haare
einer fremden Person an ihr gefunden worden.
Die Tatwaffe war trotz
akribischer Suche in der gesamten Umgebung des Leichenfundorts nicht entdeckt worden. Steine
lagen allerdings genug herum. Dies legte den Verdacht nahe, dass der Täter nicht bewaffnet
gewesen war, als er auf sein Opfer traf. Er hatte die Waffe spontan und aus der Situation
heraus gewählt. Und war hinterher clever genug gewesen, den Stein entweder mitzunehmen oder
weit entfernt vom Tatort zu entsorgen. Es gab zahlreiche kleine Bäche in der nächsten Umgebung.
Wenn er ihn in einem davon versenkt hatte, war es unwahrscheinlich,
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