Das Blut der Azteken
Mutterland in Europa führte. Um das Silber zu Geld zu machen, wurde es im Norden des Landes abgebaut und verarbeitet und dann auf dem Rücken von Mauleseln in die Hauptstadt geschafft. Dort goss man einige der Barren zu Münzen und verschiffte den Rest an Bord der Schatzflotte nach Spanien.
Der Transport des Silbers nach Veracruz, der einmal jährlich stattfand, wurde von einem Trupp Soldaten begleitet, sodass kein Bandit einen Überfall wagte. Allerdings waren ständig Maultierkarawanen mit Silber von den Bergwerken zum Münzamt unterwegs, weshalb es unmöglich war, sie alle zu bewachen. Deshalb schickte man häufig Karawanen mit Säcken voller Erde los, um die Wegelagerer zu narren. Wenn die Banditen dann angriffen, trafen sie auf heftigen Widerstand von als Maultiertreiber verkleideten Soldaten.
»Doch nach einer Weile hörten die Überfälle auf diese falschen Karawanen auf; die Räuber hielten sich nur noch an die, welche tatsächlich Silber bei sich führten. Der Vizekönig will den Grund wissen. Die Marschbefehle für die falschen Karawanen werden im Münzamt festgelegt und per Boten an die Bergwerke geschickt. Ich habe den Verdacht, dass jemand dieses Wissen gegen Bezahlung an die Banditen weitergibt.«
»Was ist mit den Boten? Oder jemandem, der im Bergwerk arbeitet?«
»Das ist beides ziemlich unwahrscheinlich. Jedes Bergwerk erhält anders lautende Anweisungen in einem versiegelten Umschlag. Und da es den Banditen stets gelingt, jeder Falle aus dem Weg zu gehen, kennen sie offenbar sämtliche Marschbefehle, nicht nur den für ein einzelnes Bergwerk. Und die bekommt man nur im Münzamt.«
»Soll ich dort Erkundigungen einziehen?« Meine Augen leuchteten, als ich mir Berge von Gold und Silber ausmalte, von denen sicher ein Teil den Weg in meine Taschen finden würde.
»Das wäre, als würde man einen Fuchs damit beauftragen, den Hühnerhof zu bewachen. Nein, du arbeitest wie immer draußen auf der Straße. Außer dem Leiter des Münzamtes, der über jeden Verdacht erhaben ist, hat nur noch ein weiterer Mann Zugang zu der Liste. Du sollst ihn beobachten und feststellen, ob er mit zweifelhaften Subjekten verkehrt. Jede Woche wird eine neue Liste erstellt, die der Verdächtige einsehen kann. Er bereitet dann die Befehle für jedes einzelne Bergwerk vor und übergibt sie dem Boten, der sie nach Norden bringt. Anschließend setzt er sich vermutlich sofort mit den Verschwörern in Verbindung. Entweder tut er das auf dem Nachhauseweg, in der Nacht, vielleicht aber auch, wenn er morgens zur Arbeit geht. Ein späterer Zeitpunkt kommt nicht infrage, da die Liste die Banditen sonst nicht rechtzeitig erreichen würde. Du wirst dich an die Fersen dieses Mannes heften und herausfinden, an wen er uns verrät.«
Der Don wandte sich an Mateo. »Ihr löst Cristo bei seinen Wachen ab und haltet für euch beide Pferde bereit, für den Fall, dass ihr den Überbringer der gestohlenen Listen auf dem Weg nach Norden verfolgen müsst.«
Wir versicherten ihm, dass wir sofort mit der Beobachtung des Münzamtes beginnen würden. »Ihr seht müde aus, Don Julio«, sagte ich. »Völlig erschöpft. Ihr solltet Euch eine Pause vom Tunnel gönnen und Euch ausruhen.«
»Dazu werde ich bald im Grab Gelegenheit haben. Es regnet stark. Jeden Tag steigt der Wasserspiegel rings um die Stadt.«
»Und der Tunnel?«
»Man hat sich nicht an meine Pläne gehalten. Ich habe an Dutzenden von Stellen versucht, die Lecks zu flicken. Doch sobald ein Loch gestopft ist, sacken die mit Wasser voll gesogenen Lehmziegel in sich zusammen, und es kommt zu einem erneuten Einsturz. Das Erdbeben vor einigen Tagen hat die Räumungsarbeiten eines ganzen Jahres zunichte gemacht. Hast du schon von dem Hellseher in der Stadt gehört, der behauptet, der Tunnel würde versagen, weil ein Jude ihn gebaut hat? Er spart sich sogar die Mühe, mich als converso zu bezeichnen.«
Der Mann war mir ein Begriff. Es handelte sich um einen Franziskanermönch, der aus seinem Orden ausgeschlossen worden war und offenbar den Verstand verloren hatte. Inzwischen irrte er durch die Straßen und lebte von den Almosen derer, die sich vor Verrückten fürchteten. Die Bewohner der Stadt hatten große Angst vor den Erdbeben, die in diesem Tal stets ziemlich heftig ausfielen. Nach dem großen Erdbeben hatte der Mönch auf dem großen Platz gepredigt und den Menschen zugerufen, diese Stadt sei Sodom, und Gott werde sie dem Erdboden gleichmachen. Da auf das erste Erdbeben mehrere
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