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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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der Dunkelheit nicht sehen, doch ich glaubte, dass er sich bewegt hatte. Kurz darauf schnarchte er wieder, und ich schlich weiter.
    Das Husten hatte mich sehr erschreckt. Die Wirkung des pulque ließ nach, und allmählich wurde mir klar, dass ich mich in Gefahr begab. Wenn man mich erwischte, würde man mich ebenfalls auspeitschen und entmannen.
    Meine Angst wurde größer, und am liebsten wäre ich umgekehrt. Aber ich sah ständig Yangas kluge Augen vor mir, nicht die eines stumpfen Tieres, sondern die eines Menschen, der Liebe, Schmerz und Sehnsucht empfinden und denken konnte. Ich wünschte mir den Mut eines Löwen und die Kraft eines Tigers. Doch ich war nur ein Junge, den niemand ernst nahm. Es war Zeit, dass ich an meinen Schlafplatz zurückkehrte. Morgen würde ich mich wieder auf den Weg machen, denn schließlich waren die Hunde der Hölle mir auf den Fersen. Einem Sklaven zur Flucht zu verhelfen, würde mir weder Ruhm noch Ehre einbringen. Nicht einmal Bruder Antonio hätte von mir erwartet, dass ich meine Männlichkeit riskierte, um einen anderen zu retten.
    Doch offenbar hatten die Sporenträger Recht: Mestizen besitzen weder Verstand noch Grundsätze. Ich folgte meinem Instinkt, kroch zum Baum und schnitt Yangas Fesseln durch.
    Er sprach kein Wort, aber dankte mir mit einem Blick.
    Gerade hatte ich meinen Schlafplatz erreicht, als ich Schritte hörte. Yanga rannte an mir vorbei ins Gebüsch.
    Kurz darauf schlug der Sklavenbesitzer, der von dem Lärm geweckt worden war, Alarm und eilte dem Flüchtenden hinterher. Ein Tumult brach aus, als die anderen Männer durcheinander schrien und die Schwerter zückten, weil sie nicht wussten, was geschehen war, und einen Überfall der Banditen vermuteten.
    Ich überlegte, ob ich loslaufen oder unter meinem Baum liegen bleiben sollte. Wenn ich floh, würden die Männer im Lager gewiss daraus schließen, dass ich den Sklaven befreit hatte. Obwohl mich die Angst zur Flucht trieb, sagte mir mein Überlebensinstinkt, dass ich bleiben musste. Wenn der Sklavenbesitzer die Fesseln in Augenschein nahm, würde er sofort bemerken, dass Yanga sie nicht zerrissen haben konnte und dass jemand sie durchgeschnitten hatte.
    Aus dem Gebüsch, in dem der Sklave und sein Herr verschwunden waren, drangen Geräusche eines Kampfes und Schmerzensschreie. Nein! Was hatte ich getan? Hatte ich Yanga losgeschnitten, damit dieser Schweinehund ihn jetzt köpfen konnte? Wieder Schreie und dann ein lautes Wimmern kamen aus den Büschen. Wegen der Dunkelheit konnte ich nur dunkle Gestalten umherhuschen sehen, bis endlich einige Fackeln angezündet wurden. Die Männer ergriffen sie und folgten den Geräuschen ins Gebüsch.
    Ich ging ihnen nach, damit man mich für einen neugierigen Zuschauer und nicht etwa für den Schuldigen hielt. Beim Näherkommen stellte ich fest, dass die Männer jemanden untersuchten, der sich vor Schmerzen auf dem Boden wand.
    »Mein Gott, er ist kastriert worden!«, rief einer aus.
    Ich war erschüttert. Also hatte ich Yanga vergeblich befreit; er hatte dennoch seine Männlichkeit verloren. Ich drängte mich durch die Menschenmenge und starrte den Mann auf dem Boden an.
    Es war nicht Yanga, sondern der Sklavenbesitzer. Er schluchzte. Die Vorderseite seiner Hose war blutig.

12
    Im Gebüsch versteckt wartete ich, bis die Reisenden aufgebrochen waren. Nachdem sich das letzte Maultier auf den Weg nach Jalapa gemacht hatte, besorgte ich mir in einer nahe gelegenen Indiohütte eine Tortilla zum Frühstück. Die Indiofrau, zweifellos die Gattin des Arbeiters, dessen pulque ich gestohlen hatte, war kaum älter als ich selbst. Doch das harte Leben, die Arbeit auf den Feldern und im Haus und die jährlichen Schwangerschaften hatten sie vorzeitig altern lassen. Während sie die Tortilla zubereitete, dachte ich bedrückt daran, dass sie kaum Gelegenheit gehabt hatte, ihre Jugend zu genießen. Sie reichte mir den Fladen mit traurigen Augen und einem verlorenen Lächeln und lehnte die Kakaobohne ab, die ich ihr als Bezahlung anbot.
    Diese Tortilla - ohne Bohnen, Chilischoten oder gar einen Hauch von Fleisch - war mein einziges Frühstück. Ich spülte sie mit Wasser aus einem nahe gelegenen Fluss hinunter und verzichtete auf einen zweiten Gang zum pulque- Versteck.
    Dann grübelte ich über meine missliche Lage nach. Ich war sicher, dass Bruder Antonio mir folgen würde. Also beschloss ich, hier, auf halbem Wege nach Jalapa, auf ihn warten.
    Obwohl ich überzeugt war, dass der Bruder

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