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Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)

Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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bereits die gewundene Treppe hinunter, die in die unteren Geschosse des Gasthauses führte.
    »A rvan!«, rief Brogandas ihm hinterher.
    Aber er hörte jetzt auf niemanden mehr.
    Arvan lief ins Freie, hinaus auf die Straße, die am Gasthaus vorbei geradewegs zum Hafen führte. Kurz vor dem derzeitigen Deich, der die noch bewohnten Teile der Sinkenden Stadt vor Überflutungen schützen sollte, stand das Haus, über das sich in der Nacht die Finsternis des Schattenvogels gesenkt hatte.
    »S ie sind alle tot!«, rief einer der Waffenknechte im Livree der städtischen Hafenwächter, als er aus der Tür kam. Arvan drängelte sich vor. Er warf einen Blick durch eines der Fenster, dessen Läden man geöffnet hatte.
    Im Inneren sah er mindestens ein Dutzend Leichen. Sie waren offenbar im Schlaf gestorben und sahen aus, als hätte ein Feuer sie verschmort. Sie waren vollkommen verkohlt, und selbst wer sie als Lebende gekannt hatte, hätte sie nicht wiederzuerkennen vermocht. Manche der Leichen waren so klein, dass sie von Kindern oder Halbwüchsigen stammen mussten. Es ließ sich oft nicht einmal sagen, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Arvan sah das Gepäck, dazwischen Sensen, Hacken, Äxte.
    Bauern, dachte er. Wahrscheinlich auf der Flucht vor dem Krieg.
    Nachdem ein Großteil des Sumpflandes von Transsydien trockengelegt worden war, hatten sich viele Siedler aus den anderen Provinzen des Beiderlandes hier angesiedelt. Viele von ihnen versuchten nun in die alte Heimat zurückzukehren. Da sie in ihren Herkunftsorten oft noch Verwandte hatten, konnten sie hoffen, dort auch aufgenommen zu werden– sofern sie es schafften, eine Überfahrt über den Langen Fjord zu ergattern. Aber darauf zu warten war auf jeden Fall besser als der lange Umweg über die Brücke von Gaa und die unwirtlichen Waldgebiete im Süden von Neuvaldanien, wo sie zudem als Fremde der Willkür der Provinzbeamten von Harabans Reich ausgeliefert gewesen wären.
    Aber diejenigen, die für die Nacht in diesem Haus Unterschlupf gesucht hatten, würden ihr Ziel am anderen Ufer des Langen Fjords zweifellos nicht mehr erreichen.
    Arvan konnte kaum fassen, was er sah.
    Brogandas, durchfuhr es ihn, und er fühlte große Wut in sich aufsteigen. Es kann nicht wahr sein! Er hat diese Menschen geopfert, um den Schattenvogel von mir abzulenken!
    Auf einem Tisch entdeckte Arvan nun auch den wie eine verkohlte Tiermumie aussehenden Kadaver einer Fledermaus. Die Form der widernatürlich gespreizten Flügel ließ daran keinen Zweifel.
    »A rvan!«, hörte er hinter sich eine vertraute Stimme. Er fühlte sich wie betäubt und brauchte einige Augenblicke, um darauf zu reagieren.
    Er drehte sich um und sah, dass Zalea ihm offenbar gefolgt war.
    Da sie ein ganzes Stück kleiner war als Arvan, konnte sie weit weniger von dem Grauen sehen, das sich im Inneren des Hauses zugetragen haben musste. Sie stand auf den Zehenspitzen ihrer gut durchtrainierten Füße, die zwar nicht ganz so groß und muskulös wie bei männlichen Halblingen waren, sich aber trotzdem von den schmalen, schwachzehigen und zum Klettern weitgehend ungeeigneten Füßen der Menschen mehr als deutlich unterschieden.
    Trotz allem aber hatte Zalea wohl genug gesehen. Arvan sah, wie sie erbleichte.
    »D ort braucht man keine Heilerin mehr«, sagte er grimmig.
    »W as bei allen Waldgöttern ist da geschehen?«
    Arvan ballte die Hände zu Fäusten.
    »D as wird er mir erklären müssen!«
    »W er?«
    »D ieser Dunkelalb!«
    Wie aus weiter Ferne hörte Arvan das Stimmengewirr um sich herum. Auch unter den Bewohnern der Sinkenden Stadt konnte sich niemand einen Reim darauf machen, was genau in der vergangenen Nacht in diesem Haus vor sich gegangen war. Einen Brand hätte man schließlich bemerken müssen– und davon abgesehen wirkten auch nur die Leichen verkohlt, aber weder die Einrichtung noch das Gepäck hatten auch nur einen einzigen Rußflecken.
    Einige redeten von einer unbekannten Krankheit. Andere glaubten, dass es die Geister der Sümpfe seien, die gekommen waren, um sich Seelen in ihr von Brackwasser durchtränktes lebloses Reich zu holen. Arvan machte sich mit weiten, energischen Schritten auf den Weg zurück zum Gasthaus.
    »W arte doch!«, rief Zalea, denn sie vermochte kaum mit ihm Schritt zu halten. Aber er schien sie auch gar nicht weiter zur Kenntnis zu nehmen.
    Als Arvan zurückkehrte, traf er die anderen vor dem Pferdestall, der zum Gasthaus gehörte. Es schien beinahe alles zum Aufbruch

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