Das Erbe Der Nibelungen
erklärte der König. Gadaric hob die Schultern. »Er ist kein Hund - auch wenn er Euch zu Diensten ist, so lebt er doch sein eigenes Leben.«
»Seit wann das?«, zischte Hurgan. »Ich bin sein Meister, und mein Ruf ist ihm Befehl!«
»Wenn ihr ihn braucht, wird er für Euch da sein«, beschwichtigte Gadaric ihn. »Wenn ich mich dann für den Abend …«
Wieder nagte eine unerwartete Erkenntnis in Hurgan: Gadaric trat in die Schatten zurück, ohne seine Erlaubnis abgewartet zu haben. Das war unerhört. »Halt, Gadaric! Nicht so schnell.«
»Mein König?«
War da Spott in der Stimme des Nibelungen?
»Bleib.«
»Warum?«
»Weil ich es sage.«
Es war ein Machtkampf, der ohne ein weiteres Wort ausgetragen wurde. Er wogte hin und her, durch die Köpfe der beiden Männer, und wurde schließlich mit verschlagener Vernunft entschieden. »Wie Ihr wünscht.«
Das Tier hinter dem Thron knurrte, als sei es anstelle seines Herrn zufrieden.
Hurgan ließ Gadaric zappeln. Schließlich sagte er: »Es scheint, mein Schloss leert sich immer mehr, wann immer ich den Blick abwende.«
»Sicher nur ein Streich, den die Müdigkeit Euch spielt«, beschwichtigte Gadaric.
»Wo ist Elea?«, wollte Hurgan wissen.
Gadaric versteifte sich etwas, ohne dass es unter seiner weiten Robe zu erkennen war. Er hatte gehofft, diese Frage nicht so schnell beantworten zu müssen. »Ist die Prinzessin … abwesend?«
»Seit drei Tagen habe ich sie nicht mehr gesehen«, knurrte der König.
»Ich bin sicher, sie ist in Worms unterwegs, auf der Suche nach … Abwechslung.«
Beide Männer wussten, welche Abwechslung Elea für gewöhnlich suchte und im Übermaß fand. Aber diesmal stellte die Antwort Hurgan nicht zufrieden. »Dann höre ich üblicherweise von ihr. Über die Wachen, meine Spione - oder dich.«
Gadaric legte die Fingerspitzen zusammen, als wolle er beten - was er niemals tat. »Vielleicht unterschätzen wir, dass Prinzessin Elea seit fast hundert Jahren in der … nun ja, rebellischen Phase ist. Ihr Bedürfnis, sich zu beweisen, neue Grenzen zu finden, sucht Befriedigung. Lasst ihr Zeit - vielleicht überrascht sie Euch.«
»Nun denn«, sagte Hurgan, unzufrieden mit der Antwort, aber ohne Alternative. »Vielleicht bringt der Morgen die Lösung des Rätsels.«
»Ganz sicher«, versprach Gadaric.
Wieder machte er Anstalten, sich zu entfernen, wie ein
Dieb, der nicht mit der Beute in der Tasche ertappt werden wollte.
»Gadaric?«
»Ja, mein König?«
»Du erinnerst dich an die Rebellen? Jene, an denen Fafnir versagt hat - unter deiner Führung?«
Gadaric nickte nur. Es war eine Wunde, in der herumzustochern ihn schmerzte.
Hurgan sah den Nibelungen an und hielt dem stechenden Blick erstaunlich hartnäckig stand. »Ich will sie tot. Es ist mir egal, was wir besprochen hatten. Egal, was du dafür anstellen musst. Ich will sie tot. Und zwar bald.«
»Ich weiß nicht, ob …«, begann Gadaric.
»Das Tier hat Hunger«, unterbrach ihn der König, und wie zum Beweis knurrte es gefährlich hinter dem Thron.
Gadaric entschied sich, den Konflikt nicht ausarten zu lassen, verbeugte sich leicht und verschwand.
Hurgan fühlte sich ein bisschen besser. Mächtiger.
Wieder war Calder nach langer Nacht schweißgebadet erwacht, und wieder suchte sein Geist die Bilder festzuhalten, die er geträumt hatte. Es waren grausame Bilder - und doch von eigentümlicher Schönheit. Sie zeigten die Stille eines Schlachtfelds, nachdem alle Krieger gemetzelt waren. Die Ruhe, die mit großer Macht kam. Die Wärme der in Blut getränkten Klinge.
Er tauchte seinen Kopf in einen Zuber mit eiskaltem Wasser und trainierte mit seinem neuen Schwert - es war länger und breiter als das, was er vorher mit sich getragen hatte. Ein Schwert für einen Helden. Einen Sieger. Calder hackte damit auf Holzbalken ein, durchstach Wandteppiche und parierte die Stöße seines eigenen Schattens. Sein
vormals verletzter Arm schien nach Bewegung zu dürsten und brannte freudig mit jedem Streich der Klinge. Nicht mehr lange, und er würde Sigfinn und Brynja in Worms suchen, um ihnen im Kampf gegen Hurgan beizustehen.
Vor zwei Tagen war Danain nach Görand gegangen, um die Menschen aufzurütteln. Er fand es an der Zeit, Island ein wenig Hoffnung zu geben, eine neue Identität. Calder war nicht so sicher, ob dieses Lumpenpack nicht einfach nur die Knute brauchte. Er hob das Schwert über seinen Kopf, mit der Klinge nach vorne, und stieß es mit einem Schrei so weit in den
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