Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
schaumigen Cappuccino, die Aurelia vor Cari hinstellte.
»Es ist mir sehr unangenehm, Sie so zu überfallen«, sagte Cari. Aurelia schien sie auf merkwürdige Art zu mustern. War es die Malerin in ihr? Oder hoffte sie etwas Bestimmtes zu entdecken? Ob sie vielleicht ahnte, wem sie gegenübersaß?
Aurelia schenkte sich Kaffee ein und trat an den Tisch. »Ich setze mich«, erklärte sie. »Und jetzt schießen Sie los.«
Cari holte tief Luft. »Als Sie noch in England lebten, haben Sie vermutlich meine Mutter gekannt.«
Die Frau betrachtete sie eingehend. »Und wer ist Ihre Mutter?«
Ganz schön schwierig, es über die Lippen zu bringen. Cari meinte, ein Blitz durchzucke ihren Körper, und hätte es beinahe herausgeschrien. »Tasmin Banks.«
Die Frau wurde bleich. Sie umklammerte die Tischkante so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Bingo, dachte Cari. Jetzt oder nie. »Sind Sie ihre Mutter?« Sie hörte die Aufregung in ihrer Stimme. »Sind Sie Aurelia Banks?«
Aurelia schwieg zunächst, ehe sie den verschleierten, abwesenden Blick auf den Tisch lenkte.
Was mochte sie denken? Cari hätte es zu gern erfahren. Abgesehen von einem schlichten Amethyst am kleinen Finger der linken Hand trug sie keinerlei Schmuck. »Aurelia?«, flüsterte sie. Das war der entscheidende Augenblick. Würde sie Cari in ihrer Familie willkommen heißen oder ihr die Tür weisen?
Aurelia schwieg noch immer, griff zum Löffel und rührte beinahe eine Ewigkeit in ihrer Kaffeetasse.
Cari konnte es nicht ertragen. Am liebsten hätte sie ihr den Löffel entrissen und ihn quer durch die Küche geschleudert. »Nun?«, fragte sie, schärfer als beabsichtigt. Die Spannung, das Warten auf Antwort – es war ihr einfach alles zu viel.
Aurelia blickte hoch. »Du bist Tasmins Tochter?«
Cari nickte. Sie hielt den Atem an.
»Meine Enkeltochter.« Aurelia schüttelte fassungslos den Kopf.
»Ja.« Cari seufzte erleichtert. Sie hatte Recht gehabt.
»Hat Tasmin dich geschickt?« Urplötzlich wirkte Aurelia zerbrechlich. Sie ließ die schmalen Schultern hängen und sah Cari flehend an.
Cari streckte den Arm aus und berührte Aurelias Hand. Wie sollte sie ihr erklären, dass ihre Tochter gestorben war? »Nein«, antwortete Cari. »Nicht wirklich.«
Aurelia entzog ihr die Hand nicht. »Verstehe«, antwortete sie und straffte die Schultern. Doch ihr Bewusstsein weigerte sich offenbar, Caris Worte aufzunehmen. Wie sollte es auch anders sein?
Und Cari war nicht in der Lage, ihr die Wahrheit zu sagen. Noch nicht. »Ich habe ihr Tagebuch gelesen«, sagte sie stattdessen. »Und dabei Ihr Foto entdeckt.« Sie nahm es aus ihrer Tasche.
Ein glückliches Lächeln malte sich auf Aurelias Gesicht. »Sie hat es aufgehoben?« Offenbar nahm sie keinen Anstoß daran, dass Cari das Tagebuch ihrer Mutter gelesen hatte. Liebevoll berührte sie das Foto. »Sie hat es aufgehoben. Die ganzen Jahre über.«
»Und das hier auch.« Cari zog den Bernsteinanhänger unter ihrer bestickten Bluse hervor. Ihr schien, als müsse sie ihre Identität beweisen. Die unbekannte Enkelin … Gleichzeitig fiel ihr die Passage in Tasmins Tagebuch ein, in der sie davon schrieb, dass sie den Anhänger unter das Sofa kickte, nachdem ihre Mutter ihn ihr gegeben hatte. »Ich weiß, dass Ihnen dieser Anhänger sehr viel bedeutet hat«, sagte Cari.
»Also hat sie ihn auch aufgehoben.« Aurelia beugte sich über den Tisch und barg ihn – wie Marco es getan hatte – in ihrer Hand. Eine besitzergreifende Geste. Marco … Wie hing das zusammen?, fragte sie sich erneut. Was hatte Marco damit zu tun? Wieso wusste er davon?
»Der Anhänger muss schon sehr alt sein«, riskierte sie zu sagen.
Aber Aurelia schien sie nicht zu hören. Ihr Zeigefinger fuhr über das eingravierte Muster. »Erstaunlich.« Sie lachte in sich hinein, als habe sie einen Witz gemacht. Wunderte sie sich denn gar nicht, dass Cari ihn trug?
Erst beim Anblick des Anhängers wurde Aurelia sich ihrer Enkelin wirklich bewusst. »Ich kenne nicht einmal deinen Namen, meine Liebe«, sagte sie.
»Cari.«
»Tasmins Tochter.« Sie seufzte tief. »Meine Enkelin.« Die Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Ich habe es nie erfahren«, sagte sie. »Sie hat mir nie geschrieben, weißt du …« Sie beugte sich über den Tisch und schloss ihre Hände um Caris Gesicht. »Lieber Gott«, flüsterte sie sanft. »Lieber Gott!«
Cari schloss die Augen. Wie oft hatte sie sich diesen Augenblick schon ausgemalt. Dabei war er in
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