Das Eulenhaus
loderten hell und klar auf. Edward betrachtete sie.
»Das ist ein schönes Feuer«, sagte er und streckte seine langen schmalen Hände in Richtung der Flammen. Er merkte, wie die Spannung allmählich wich.
»In ›Ainswick‹ hatten wir auch immer Tannenzapfen«, sagte Midge.
»Habe ich immer noch. Jeden Tag kommt ein Korb voll davon frisch neben den Kamin.«
Edward in »Ainswick«. Midge schloss die Augen und stellte ihn sich vor. Wie er zum Beispiel in der Bibliothek saß, im Westflügel des Hauses. Vor einem der Fenster stand eine Magnolie. Sie deckte es fast zu, aber nachmittags ergoss sich grün-goldenes Licht über den ganzen Raum. Vor dem anderen Fenster lag der Rasen, und auf dem stand stramm wie ein Wachposten eine hochgewachsene Wellingtonia. Rechts davon wuchs eine riesige Blutbuche.
Ach, »Ainswick« – »Ainswick«.
Sie roch fast die kleine Duftwolke, die von der Magnolie hereinwehte. Sie hatte auch im September noch ein paar wunderschöne, süß duftende, wächserne weiße Blüten. Dazu die lodernden Tannenzapfen. Und ein schwacher Modergeruch von einem Buch, die Art Buch, die Edward bestimmt gerade las. Und ab und zu wanderten seine Augen vielleicht vom Buch zum Feuer und er dachte, eine Minute lang, an Henrietta.
Midge zuckte zusammen. »Wo ist eigentlich Henrietta?«, fragte sie.
»Zum Schwimmbecken gegangen.«
Midge starrte ihn an. »Warum das denn?«
Ihre schroffe dunkle Stimme brachte etwas Leben in Edward. »Meine liebe Midge, du weißt doch bestimmt – na ja, oder hast es vermutet, dass sie Christow ziemlich gut gekannt hat.«
»Ja, selbstverständlich, das war ja bekannt. Trotzdem verstehe ich nicht, warum sie einen Mondscheinspaziergang zu der Stelle macht, wo er erschossen wurde. Das sieht ihr gar nicht ähnlich. Henrietta war nie melodramatisch.«
»Weiß denn von uns irgendjemand, wie jemand anderes wirklich ist? Henrietta zum Beispiel.«
Midge runzelte die Stirn. »Also, Edward, du und ich, wir kennen Henrietta immerhin lebenslang.«
»Sie hat sich verändert.«
»Hat sie nicht. Ich glaube sowieso nicht, dass man sich verändert.«
»Henrietta hat sich verändert.«
Midge sah ihn fragend an. »Mehr als du und ich uns verändert haben?«
»Ach, ich bin stehen geblieben, das weiß ich sehr wohl. Und du – « Sein Blick wurde plötzlich klar, er sah jetzt scharf, wie Midge vor dem Kaminrost kniete. Es war, als ob er sie aus großer Ferne betrachtete – ihr energisches Kinn, die dunklen Augen, den resoluten Mund. »Ich würde dich sehr gern öfter sehen, meine liebe Midge«, sagte er.
Sie lächelte zu ihm hoch. »Ja, das ist heutzutage gar nicht so einfach, in Kontakt zu bleiben, was?«
Es gab ein Geräusch draußen.
Edward stand auf. »Lucy hat völlig Recht«, sagte er, »so ein Tag macht einen müde – wenn man zum ersten Mal mit Mord konfrontiert wird. Ich gehe zu Bett. Gute Nacht.«
Er war schon weg, als Henrietta durch die Terrassentür hereinkam.
Midge sah sie an. »Was hast du mit Edward gemacht?«
»Edward?«, fragte Henrietta abwesend. Sie hatte die Stirn in Falten gelegt und schien an irgendetwas sehr Fernes zu denken.
»Ja, Edward. Er sah furchtbar aus, als er hereinkam – verfroren und ganz grau.«
»Midge, wenn du dich so um Edward sorgst, dann unternimm doch etwas.«
»Etwas unternehmen? Was meinst du damit?«
»Das weiß ich doch auch nicht. Stell dich auf den Stuhl und brüll! Mach auf dich aufmerksam. Weißt du denn nicht, dass das die einzige Chance bei einem Mann wie Edward ist?«
»Edward wird sich nie etwas aus einer anderen Frau als dir machen, Henrietta. Das hat er auch noch nie.«
»Dann ist das nicht sehr intelligent von ihm.« Sie sah kurz in Midges bleiches Gesicht. »Ich habe dir wehgetan, tut mir leid. Aber heute Abend hasse ich Edward richtig.«
»Du hasst ihn? Das kannst du nicht.«
»O doch, das kann ich! Du weißt ja nicht – «
»Was?«
»Er erinnert mich an so vieles«, sagte Henrietta bedächtig, »das ich vergessen möchte.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel ›Ainswick‹.«
›»Ainswick‹? Du willst ›Ainswick‹ vergessen?« Midge klang, als ob sie es nicht glauben könnte.
»Ja doch, ja! Ich war glücklich da. Ich kann nur im Augenblick den Gedanken an Glück nicht ertragen. Verstehst du das nicht? Diese Zeit, in der man noch nicht wusste, was kommt. Als man ganz treuherzig gedacht hat, alles wird wunderbar! Manche Leute sind klüger – die erwarten gar nicht erst, dass sie glücklich werden. Ich war
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