Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
an, hinter dem Rücken der anderen Schützen, die ihn bisher gar nicht beachtet hatten, seine zehn Pfeile mit derartiger Präzision und rascher Schussfolge von der Sehne schnellen zu lassen, dass sich alle überrascht nach ihm umdrehten. Geros Pfeile trafen die Puppe der gräflichen Schützen ohne Ausnahme, der vorletzte Schuss ging mitten durch die Herzscheibe und der letzte schoss der Puppe den Helm vom Kopf.
Lauter Beifall und respektvolle Rufe brandeten auf, als Gero seine Darbietung beendet hatte, und der bärbeißige Hauptmann kam auf den Schützen zu und schüttelte ihm die Hand. »Das macht Euch so schnell keiner nach, Herr. Wer seid Ihr?«
»Meinhard von Geldern ist mein Name«, antwortete Gero. »Und wer seid Ihr?«
»Ich bin der Burghauptmann. Wo habt Ihr so gut schießen gelernt?«
»Mein Onkel war ein vorzüglicher Lehrmeister. Sagt – könnt Ihr vielleicht jemanden wie mich brauchen? Ich kann auch gut mit Schwert und Lanze umgehen.«
Der Burghauptmann nahm Geros Bogen zu Hand und strich bewundernd über das fein gemaserte Holz. »Ein schöner Langbogen. Aus welchem Holz ist er gemacht? Eibe?«
»Ja«, erwiderte Gero stolz.
Der Burghauptmann reichte ihm die Waffe zurück. »Graf Landskron braucht immer fähige Männer.« Er musterte Gero genauer. »Mir scheint, Ihr habt das Zeug zum Anführer …«
»Das will ich wohl meinen«, antwortete Gero und entspannte gekonnt seinen Bogen.
»Dann kommt«, sagte der Burghauptmann und schritt voraus. Gero nickte den anderen Männern zu, packte sein Pferd am Zügel und folgte dem Hauptmann.
Am Abend sah sich Gero in den krummen und engen Gassen von Oppenheim um. Es wurde allmählich dunkel, und er hatte sich von der Burg davongemacht mit der Ausrede, sich noch von einem Freund verabschieden zu wollen.
Er war hochzufrieden mit sich. Es war besser gelaufen, als er es sich gedacht hatte. Der Burghauptmann hatte ihm noch einige Fragen nach Herkunft und Ausbildung gestellt, die Gero zu dessen Zufriedenheit beantwortet hatte, und damit war er als Ausbilder der Bogenschützen in die Burgwache aufgenommen.
Während er mit dem Burghauptmann verhandelte, hatte er sogar noch einen kurzen Blick auf den Burgherrn und seinen hohen Gast erhaschen können, als die beiden unversehens auf dem Wehrgang auftauchten, der sich die äußere Burgmauer entlangzog.
Der Burghauptmann war sogleich zu seinem Herrn geeilt und hatte auf Gero gedeutet, der unten im Burghof stand, ehrfürchtig den Hut zog und sich tief verbeugte, sobald der König und der Graf ihre Blicke auf ihn richteten. Der Graf hatte kurz die Hand zum Gruß erhoben und war dann mit dem König weitergegangen, während der Burghauptmann Gero durch eine Geste zu verstehen gab, dass seine Anstellung nunmehr besiegelt war.
Ein kräftiger, gedrungener Soldat mit schwarzem Bart hatte Gero daraufhin das Quartier und die Stallungen gezeigt sowie die gut ausgerüstete Waffenkammer, wo Gero sogleich die Bögen genauer betrachtete und anmerkte, dass mit den kleinen Ulmenbögen kein Staat zu machen sei und er die Bogenschützen auf die weitreichenderen und zielgenaueren Langbögen umschulen werde.
Dann hatte Gero einen Rundgang durch die Burg Landskron unternommen. Ihre Anlage war nicht außergewöhnlich. Sie war auf einer felsigen Anhöhe über der Stadt errichtet worden, was es einem Angreifer schwierig, wenn nicht gar unmöglich machte, sie im Sturm einzunehmen. Nur über eine Zugbrücke, die den tiefen Halsgraben überspannte, konnte man in die Burg gelangen. Dem äußeren Befestigungsring mit Wehrgang und Türmen folgte ein zweiter konzentrischer Ring mit weiteren Wehrtürmen, dem Bedienstetenhaus und der Schildmauer, durch deren Tor man in den Innenhof gelangte, wo sich ein hundert Fuß tiefer Brunnen befand, ebenso der Bergfried und der Palas mit dem Treppenhaus sowie die Burgkapelle. Im Palas wurde das ganze Erdgeschoss von der großen Empfangshalle eingenommen, und in den oberen Stockwerken lagen die Räumlichkeiten für die Herrschaften mit den beheizbaren Kemenaten, die jeweils mit einem eigenen offenen Kamin ausgestattet waren.
Wegen des königlichen Besuchs wimmelte es in der Burg nur so von Soldaten und Bediensteten. Bauern fuhren mit Vorräten vor, die ausgeladen und gelagert werden mussten. Es war ein Leichtes für Gero gewesen, herumzustreifen und alles genau in Augenschein zu nehmen. Schließlich war er, nachdem er kurz die Erlaubnis des Burghauptmanns eingeholt hatte, den Serpentinenweg hinunter in die
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