Das Geheimnis der schönen Catherine
ungefähr zweiundzwanzig Jahren in Italien gestorben. Andere behaupteten, nein, er sei vor langer Zeit zu einer abenteuerliche Reise »irgendwohin nach Asien« aufgebrochen. Offensichtlich scherten sich die meisten keinen Deut um den Verbleib des Mannes. Im Laufe des Abends wurde Hugo immer klarer, dass die einzigen Menschen, die über das Schicksal von James Singleton Bescheid wussten, genau die waren, die sich darüber ausschwiegen – dessen Schwester und dessen Tochter.
Hugo hatte mit einigen von Singletons früheren Freunden gesprochen, die in ihrer Jugend in sehr engem Kontakt zu ihm gestanden hatten, und erfahren, dass etwa zum selben Zeitpunkt, da Mr. Singleton England verließ, auch einer seiner Freunde England den Rücken kehrte. Die übrigen sechs Herren waren im Land geblieben, sahen aber nicht mehr viel voneinander. Mit dreien hatte Hugo sich unterhalten: mit Pickford, Pennington und Brackbourne. Und alle drei hatten sich überraschenderweise sehr zurückhaltend gezeigt, als die Sprache auf James Singleton kam, obwohl sie sonst durchaus redselig waren. Und nun stand er hier, vor einem gewissen Haus in der Dorset Street, obwohl er doch eigentlich auf dem Heimweg von den Klubs in St. James’s gewesen war. Das lag natürlich nur am Brandy. Eine ganz schlechte Sorte. Müde blickte er zur dunklen Fassade des Singleton-Hauses hinüber. Die Schlafzimmer, so nahm er an, lagen nach hinten hinaus. Ihm war durchaus klar, wie lächerlich die Vorstellung war, er könnte irgendetwas in Erfahrung bringen, wenn er nur lange genug vor dem Haus stehen blieb und in die dunklen Fensterhöhlen starrte. Um diese Zeit schliefen die Damen Singleton bestimmt tief und fest – es war eine Stunde vor Sonnenaufgang. Aus der Ferne hörte er leise einen Wagen über das Kopfsteinpflaster rumpeln, den Ruf eines Nachtwächters, das Jaulen eines Hundes. Ein Pferd trappelte durch eine nahe Straße und verschwand in der Gasse, die hinter den Häusern der Dorset Street verlief. Hugo erstarrte. Dieses Pferd – es klang beinahe, als wäre es hinter dem Anwesen der Singletons stehen geblieben. Er verließ seinen Wachposten und näherte sich vorsichtig der Gasse hinter dem Anwesen. Er kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie eine vertraute Gestalt von dem Pferd glitt und die Zügel einem Jungen übergab, der im Dunkeln gewartet hatte. Der Reiter trug lange weite Hosen und eine weite Tunika. Über die Schultern hing ihm ein dünner Zopf. Der Chinese!
Jetzt ging der Chinese auf eine kleine Seitenpforte in der hohen Mauer zu, die das Anwesen der Singletons umgab. Hugo wurde bewusst, dass er soeben zum Zeugen eines Einbruchs wurde. Auch wenn der Mann bislang noch niemanden verletzt hatte, war Miss Singleton in Gefahr. »Heda! Haltet den Dieb!« rief er und stürzte an dem verblüfften Stalljungen vorbei, der das Pferd am Zügel führte. In einem kleinen Hof direkt vor dem Hintereingang des Singleton-Hauses stellte er den Chinesen. Der Mann schrak zurück in die Schatten. »Sie haben keine Chance«, sagte Hugo. »Ergeben Sie sich freiwillig!« Der Chinese antwortete nicht. »Zwingen Sie mich nicht, Gewalt anzuwenden«, sagte Hugo langsam und deutlich. Ob dieser Chinese überhaupt Englisch verstand? Der Orientale wich leicht zur Seite, aufmerksam, kampfbereit, und Hugo trat näher auf ihn zu. Ein Lichtstrahl fiel auf seine Gestalt. Wie schon bei ihrer ersten Begegnung konnte Hugo erkennen, dass er sich das Gesicht mit einem Tuch vermummt hatte. Dass der Bursche klein, aber sehr geschickt war, war Hugo nur zu gut in Erinnerung. Vorsichtig kam Hugo näher, die Hände zu Fäusten geballt, um mögliche Schläge abzuwehren. Er fragte sich, ob der Chinese eine Waffe hatte.
Die meisten Chinesen konnten gut mit Messern umgehen. Zum Teufel! Warum hatte er nicht wenigstens seinen Stockdegen dabei, eine Pistole oder auch ein Messer im Stiefel? »Na, komm schon, Kleiner«, murmelte Hugo. »Wir haben noch eine Rechnung offen.« Leichtfüßig tänzelte er auf den Chinesen zu, ohne ihn auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
»Dieses Mal bin ich vorbereitet. Und ich bin kein Gentleman-Boxer. Ich habe das Boxen im Hafen von Marseille und in den Gassen von Tanger gelernt.« Lächerlich, dachte Hugo, noch während er das sagte, es ist lächerlich, dass ich mich mit einem Burschen unterhalte, der kein Wort Englisch versteht. Na ja, der Brandy. Der Chinese machte plötzlich eine ungestüme Bewegung vorwärts und tauchte dann zur Seite ab. Es war
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