Das geheimnisvolle Tuch
aus der Stadt geeilt, um zuzusehen, wenn er verbrannt wird. Ist jedes Einwohners Pflicht, wegen der Abschreckung, damit man nicht dieselben Sünden begeht wie der Verurteilte. Wollt ihr es hören?“
Vinc sah die schelmischen Blicke von Thomas. „Na los, erzähl! Mach schon!“ Er platzte fast vor Neugierde.
Thomas genoss die Spannung, die er erzeugte, aber nun drängte ihn auch Rexina. Sie meinte, dass Thomas zur Übertreibung neige und den Bogen nicht überspannen solle.
„Also, wir standen alle so da. Der Feuermeister zündete die Hölzer an. Ihr müsst wissen, der Feuermeister ...“
„Thomas! Thomas!“, rief Vinc und blockte eine Ausschweifung des Jungen ab.
„Schon gut. Also, der Feuermeister entfachte das Feuer. Die Flammen erreichten bald darauf euren Freund. Ich stand ziemlich vorne und sah sein schmerzverzerrtes Gesicht. Da murmelte er etwas und Schwupp die wupp kam eine kleine Regenwolke und löschte das Feuer. Wir waren alle verblüfft. Die Leute hielten das für ein böses Omen und flohen. Ich aber blieb standhaft, ein Held, wie ich nun mal bin. He, was gibt es da zu lachen? Na ja gut, sagen wir, so tapfer, wie ich nun mal bin, blieb ich stehen. Der Kleine sah mich flehend an und sprach, er sei kein Hexer, nur ein kleiner Zauberer, dem sowieso alles schief geht. Ich band ihn darauf los und eilte zurück in die Stadt. Ich hatte Angst, mit eurem Freund ergriffen zu werden. Man hätte mich dann auch verbrannt. In der Kneipe zog ich dann die Nummer mit dem Wirt ab.“
„Wo ist Zubla jetzt?“, wollte Vinc aus Sorge um seinen Freund wissen.
„Wer ist Zubla? Ach so. Das weiß ich nicht. Wir sprachen nicht miteinander. Oh doch. Einen Satz rief er mir noch zu, dass er euch suchen will.“
„Hoffentlich macht er keine Dummheiten und begibt sich in Gefahr. Ich nehme an, der hatte zuvor von der Wurzel gegessen“, vermutete Vinc.
Erschrocken blickte Rexina um sich.
„Was ist?“, wollte Vinc wissen, der in ihre ängstlichen Augen blickte.
„Wir werden doch gehört. Die Oberin sagte etwas von den Horchern.“
„Ich sehe nichts“, meinte Thomas.
Da hörten sie ein Rascheln im Stroh, sie sahen, wie ein kleines Wesen aus dem Ausgang huschte.
„Das war bestimmt einer von ihnen. Wir sind verloren.“ Rexina schien der Verzweiflung nahe.
„Ach was“, tröstete sie der ewig optimistische Thomas. „War bestimmt nur eine Ratte.“
„Eine Ratte?“ Rexina sprang hoch. „Das hat gerade noch gefehlt!“
Gerason, der Zwerg, erschien und brachte für Vinc etwas zum Essen.
„Sag mal, Gerason, was sind eigentlich die Horcher?“, wollte Vinc wissen.
Der Zwerg grinste über sein Gesicht, was man eher an seinen Augenfalten sehen konnte als auf der Fläche des Antlitzes, denn der riesige Bart bedeckte fast alles und ließ nicht viel von Wangen und Mund sehen.
„Die Horcher?“ Er sah nach links, rechts, nach hinten, um sicher zu gehen, nicht ertappt zu werden: „Die Horcher gibt es nicht. Das sind Wesen im Kopf von Gistgrim, der Oberin. Sie will nur verhindern, dass ihr Geheimnisse austauscht.“
Sie sahen, wie die Augenfalten noch tiefer wurden und sie wussten nicht, war dies ein hämisches, hinterhältiges Lächeln oder wirklich ein sanftes, wohlwollendes.
Er ging wieder aus dem Raum.
„Meinst du, dem können wir trauen?“, fragte Rexina misstrauisch.
„Eigentlich sind Zwerge wohl gesonnen. Sie haben nur ein Ziel. Wühlen, wühlen und nochmals wühlen. Sie graben mit Leib und Seele gerne in den Minen. Nur reizen darf man sie nie, dann werden sie zu gewaltigen Kriegern. Die entwickeln eine Kraft, die enorm ist. So wie ich.“ Thomas konnte es einfach nicht lassen, ein Anhängsel an seine Ausführungen zu bringen.
„Was mich wundert, ist, dass wir außer der Oberin und Gerason noch keine anderen Aufseher sahen, außer diesen Untieren natürlich.“ Auf diese Überlegung kannten auch sie keine Antwort.
Um nicht weiter aufzufallen, entschlossen sie sich, sich zu den anderen Kindern in den Hof zu begeben, um mit ihnen des Spielens zu frönen. So kamen die kindlichen Freuden wieder hervor und vergessen waren zumindest für einige Zeit die Ängste. Zu sprechen wagte sich aber kaum jemand, denn die Horcher, ob vorhanden oder nicht, blieben ein unsichtbares Risiko, belauscht zu werden.
So verging der Tag der Freude. Sie begaben sich zur Nachtruhe.
Am nächsten Morgen war wieder der gewöhnliche Alltag eingekehrt.
Unten in der Mine trat Gerason neben Vinc und gebot ihm, sich zu bücken.
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