Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
wusste, dass Lenora noch immer viel in der Bibel las, und sie schien jetzt sogar noch lieber in die Kirche zu gehen als früher, auch wenn Prediger Teagardin Albert Sykes nicht das Wasser reichen konnte, wenn es um eine gute Predigt ging. Manchmal fragte sich Emma, ob der Mann sich überhaupt dafür interessierte, Gottes Wort zu verkünden; oft verlor er den Faden, als seien seine Gedanken ganz woanders. Sie merkte, wie sie sich innerlich schon wieder über die Sache mit der Hühnerleber aufregte. Sie würde darüber heute Abend vor dem Schlafengehen noch einmal zu Gott sprechen müssen. Emma drehte sich zu Arvin um. »Und du glaubst nicht, sie könnte einen Verehrer haben?«
»Wer? Lenora?« sagte Arvin und verdrehte die Augen, so als sei das das Lächerlichste, was er jemals gehört hatte. »Ich glaube nicht, dass du dir darüber Gedanken machen musst, Grandma.« Er sah zu Earskell hinüber, der ein ziemliches Chaos mit der Zigarette angestellt hatte, mit offenem Mund dasaß und die Bescherung auf dem Tisch anblickte. Der Junge griff nach dem kleinen Tabakbeutel und den Blättchen und begann, dem alten Mann eine neue Zigarette zu drehen.
»Aussehen ist nicht alles«, sagte Emma streng.
»Das meine ich nicht«, stotterte Arvin und schämte sich, abschätzig über Lenora gesprochen zu haben. Es gab schon zu viele, die das taten. Plötzlich ging ihm auf, dass er nun nicht mehr in der Schule sein würde, um sie zu beschützen. Sie würde den Acker jetzt selbst zu pflügen haben. »Ich glaube nur nicht, dass es irgendeinen Kerl in der Gegend gibt, für den sie sich interessiert, mehr nicht.«
Die Haustür öffnete und schloss sich quietschend, dann hörten sie Lenora ein Lied summen. Emma lauschte, erkannte es als »Poor Pilgrim Of Sorrow«. Sie ließ die Sache für diesmal auf sich beruhen, tauchte ihre Hände ins lauwarme Wasser und schrubbte eine Pfanne. Arvin kümmerte sich weiter um die Zigarette. Er leckte das Blättchen an, drehte die Zigarette ein und reichte sie Earskell. Der alte Mann lächelte und suchte in seiner Hemdtasche nach einem Streichholz. Es dauerte eine ganze Weile, bis er eins fand.
36.
Mitte August wusste Lenora, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Ihre Regel war bereits zweimal ausgeblieben, und das Kleid, das Arvin ihr gekauft hatte, passte schon fast nicht mehr. Teagardin hatte ein paar Wochen zuvor die Beziehung beendet. Er fürchtete, wenn er sich weiter mit ihr träfe, könnten es seine Frau oder gar die Gemeinde herausbekommen. »Und das wollen wir doch nicht, oder?« hatte er gesagt. Sie ging danach mehrere Tage lang an der Kirche vorbei, bis sie ihn wieder antraf; die Tür war offen, der kleine Wagen stand im Schatten unter dem Baum. Als sie die Kirche betrat, saß Teagardin vorn im Dämmerlicht, genau wie vor drei Monaten, als sie zum ersten Mal zu ihm gekommen war, doch diesmal lächelte er nicht, als er sich umdrehte und sah, wer da kam. »Du solltest nicht herkommen«, sagte Teagardin, auch wenn er nicht wirklich überrascht war. Manche konnten einfach keinen Schlussstrich ziehen.
Wie sehr die Brüste des Mädchens gegen das Oberteil ihres Kleides drückten, war nicht zu übersehen. So etwas hatte er immer wieder beobachtet, kaum trieben sie es regelmäßig, dehnten sich ihre jungen Körper aus. Er schaute auf die Uhr und sah, dass er noch ein paar Minuten Zeit hatte. Vielleicht sollte er sie sich noch einmal richtig gut vornehmen, dachte er, doch dann platzte Lenora mit hysterisch-brüchiger Stimme damit heraus, dass sie sein Kind in sich trage. Er sprang erschrocken auf, eilte zur Kirchentür und schloss sie. Er blickte auf seine Hände, sie waren dick, aber so weich wie die einer Frau. In der Zeit, die er benötigte, um einmal tief Luft zu holen, überlegte er, ob er sie mit ihnen erwürgen könnte, doch er wusste verdammt gut, dass er gar nicht den Mumm zu so einer Tat hatte. Und Gefängnis, vor allem so ein abscheuliches Loch wie das in West Virginia, war viel zu grausam für eine empfindliche Person wie ihn. Es musste eine andere Möglichkeit geben. Aber er musste sie schnell finden. Er bedachte auch Lenoras Lage, ein armes, geschwängertes Waisenkind, halb verrückt vor Angst; und all diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er die Tür abschloss. Dann ging er nach vorn, wo Lenora auf einer der Bänke saß; Tränen flossen ihr über das verzerrte Gesicht. Er entschied sich, mit ihr zu reden, das konnte er schließlich am besten. Er sagte, er habe schon von
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