Das Haus auf den Klippen
fällig.
Im Gericht gestern hatte er Vivians Anwalt Leonard Wells
aufgefordert, ihr Vermögen zu verwalten und das Testament
rechtswirksam zu machen. Jetzt, da der Richter seinen Ruf wiederhergestellt hatte, konnte die Familie die Überschreibung der
Vermögenswerte nicht länger hinauszögern. Wells teilte ihm
mit, er werde ein Bündel Wertpapiere für die Steuern verkaufen
müssen. Der Staat verlangte wahrhaftig einen großen Happen
von dem Geld anderer Leute.
Wahrscheinlich kommt einem das immer so vor, egal wieviel
man erbt, dachte Scott.
Er fuhr den Wagen aus der Garage hinaus und um das Haus
herum. Er hielt einen Moment an; dann trat er auf das Gaspedal.
»Leb wohl, Vivy«, sagte er laut.
89
S
ie verbrachten den Dienstag vormittag am Strand, nur sie
drei. Sie hatten das Ställchen für Hannah mitgenommen und
im Schatten des Sonnenschirms aufgestellt. Adam lag in der
Sonne und las Zeitung. Menley hatte Zeitschriften in ihrer Bade
tasche dabei, aber sie hatte sich auch einen Stapel von Phoebes
Unterlagen mitgebracht.
Die Papiere waren mit einem Gummiband zusammengefaßt
und schienen nicht nach irgendeinem Prinzip geordnet zu sein.
Menley hatte den Eindruck, daß Phoebes Recherchen mit der
fortschreitenden Invasion der Alzheimerschen Krankheit zunehmend unsystematischer wurden. Es wirkte so, als habe sie
immer mehr Material gesammelt und einfach in ihre Ordner
gesteckt. Da waren sogar Kochrezepte darunter, die sie ein paar
Jahre zuvor aus der Cape Cod Times ausgeschnitten und an Berichte über die frühen Siedler geheftet hatte.
»Ganz schön mühsam«, murmelte sie.
Adam blickte auf. »Was denn?«
»Die letzten Notizen von Phoebe. Sie sind etwa vor vier Jahren entstanden, glaub ich. Es ist offensichtlich, daß sie sich da
schon ernsthaft schwertat. Wirklich traurig ist, daß sie offenbar
die Einbuße ihrer Fähigkeiten bemerkt hat. Viele von den Anhaltspunkten, die sie zur eigenen Erinnerung notiert hat, sind so
furchtbar verschwommen.«
»Zeig mal her.« Adam überflog die Seiten. »Das ist ja interessant.«
»Was denn?«
»Da ist ein Hinweis auf das Haus hier. ’Laine hat mir erzählt,
daß es bestimmt deswegen Remember House heißt, weil das
Haus bei einem Sturm wie ein Blasebalg funktioniert. Wenn der
Wind so dagegen anbraust, dann entsteht ein Geräusch, als würde jemand ›Remmmmbaaa‹ rufen.«
»Dasselbe hat mir Jan Paley erzählt.«
»Dann haben sich beide getäuscht nach dem, was hier steht.
Hier ist die Kopie einer Aufzeichnung aus dem Stadtregister von
siebzehnhundertfünf. Sie bestätigt die Geburt eines Kindes von
Kapitän Andrew Freeman und seiner Frau Mehitabel, einer
Tochter namens Remember.«
»Das Baby hieß Remember?«
»Und schau mal da – das ist eine Urkunde aus dem Stadtarchiv von siebzehnhundertzwölf: ›Besagtes eigenthum, Nickquenum geheissen, ein wohnhaus mit hab und gut und gehöfft, gen
osten begrenzt von der sandbank oder klippe zum salzwasser
hin, gen süden vom lande des leutnants zur see William Sears,
gen südwesten vom lande des Jonathan Crowell und gen norden
vom lande des Amos Nickerson, ward nach dem willen von Kapitän Andrew Freeman an sein eheweib und im falle ihres hinscheidens an seine nachkommen vermacht. Sintemal sein weib
Mehitabel schon vor ihm verschied, ist die einzige erbin eine
tochter Remember, wie verzeichnet auf der geburtsurkunde im
jahre des HErrn eintausendsiebenhundertfünf. Sintemal der
verbleib besagten kindes unbekannt, soll der wohnsitz, welchselbiger als Remember House bekannt geworden, für steuern
veräußert werden.‹«
Menley durchlief ein Schauer.
»Men, was ist los?« fragte Adam scharf.
»Es ist nur, daß es da eine Geschichte aus der Kolonialzeit
Ende des siebzehnten Jahrhunderts gibt, von einer Frau, die bei
der Geburt ihres Babys wußte, daß sie sterben mußte, und deshalb verfügte, daß das Neugeborene Remember heißen soll, damit es immer an sie denkt. Ich frage mich, ob Mehitabel davon
wußte. Vielleicht hat sie schon geahnt, daß sie ihr Kind verlieren
würde.«
»Dann sollten wir das Haus, falls wir es tatsächlich kaufen,
wieder umbenennen, wie es ursprünglich hieß. Hast du eine Ahnung, was Nickquenum bedeutet?«
»Es ist ein indianisches Wort, das ›Ich bin auf dem Heimweg‹
bedeutet. Zur Zeit der ersten Siedler brauchte ein Reisender,
wenn er durch feindliches Gebiet kam, nur dieses Wort auszusprechen, und niemand legte ihm einen Stein in den Weg.«
»Das hast du sicher bei
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