Das Haus der Tänzerin
einsam bin. Weil ich mich so lange nicht mehr begehrt gefühlt habe. Nicht, seit Joe mich verlassen hat, nicht, seit du …«
»Seit ich was?«
»Genau das ist es«, sagte sie verzweifelt. »Du hast nicht. Du musst es gespürt haben … was zwischen uns ist.« Sie zwang ihn, sie anzusehen. »Ich weiß nicht, wo ich bei dir stehe. Bei Marek … das war einfach. Er hat es geschafft, dass ich mich gut fühle. Ich fühlte mich jung und lebendig, und das habe ich gebraucht. Ich brauche es.« Emma berührte ihn am Arm, und er zuckte zurück. »Woran liegt es? Ist es deine Frau?«
»Alejandra ist schon lange nicht mehr da.«
»Aber ich bin da, Luca. Und ich bin echt. Und ich will nicht mehr allein sein.« Sie trat einen Schritt zurück, als die Haustür aufging.
»Hola«, sagte Solé. Sie warf rasch einen Blick von Luca zu Emma und nahm ihm das Baby ab.
Emma hörte das Mädchen mit Marek in der Küche schwatzen. Sie sah Luca an, als Mareks Schritte auf sie zukamen. »Ich will nicht allein sein.«
Luca sah Marek an. »Du musst jetzt gehen«, sagte er. Seine Stimme zitterte vor Wut. Er wandte sich Emma zu. »Ich sehe dich bei der Taufe.«
»Bitte nicht …«, sagte Emma.
»Danke, Emma. Für alles.« Marek nahm ihre Hand, küsste sie und blickte zu Luca auf.
Luca stapfte durch das Dorf in Richtung Café. Leider hatte Mareks Bus Verspätung. »Hey, alter Mann«, rief er von der anderen Straßenseite. »Hat sie dich rausgeworfen? Konntest du ihr nicht geben, was sie wollte?« Er lachte und griff in die Hosentasche, um eine Zigarette herauszuholen. Er hatte gerade den Blick gesenkt, als Luca mitten durch den Verkehr auf ihn zukam. Als er sich die Zigarette angezündet hatte und wieder aufschaute, stand Luca vor ihm, packte ihn am Kragen und holte aus.
»Sprich nicht so über Emma«, sagte er und ballte die Faust.
»Was hast du vor? Willst du mich schlagen?«, spottete Marek. Er taumelte zurück, als Luca ihn wegstieß.
»Du bist es nicht wert.« Luca betrachtete Marek, der im Rinnstein lag, und sah in ihm das, was er war – einen unbeholfenen Jungen, der Glück gehabt hatte und zum Zuge gekommen war. Er seufzte und streckte ihm die Hand hin. »Hier.«
Marek rappelte sich auf. »Ich versteh das nicht. Warum hast du mich nicht geschlagen?«
»Weil du noch ein Junge bist, und außerdem weit weg von zu Hause. Und außerdem war ich auch einmal so wie du.« Er klopfte Mareks Hemd ab.
»Es tut mir leid.«
»Denk dran.« Luca stupste ihn in die Brust. »Denk daran, was für ein Glück du hattest. Emma ist eine außergewöhnliche Frau.«
»Du liebst sie, nicht wahr?«
»Es ist kompliziert.«
»Ich glaube, sie liebt dich auch.«
»Warum?«
Marek zuckte die Schultern. »In der Nacht hat sie deinen Namen gesagt.«
»Wirklich?« Luca kämpfte gegen ein Lächeln an.
»Vielleicht bist du derjenige, der Glück hat.« Der Bus kam die Dorfstraße heraufgerumpelt.
Als Marek seine Tasche in den Bus lud und die Stufen erklomm, wandte er sich um. »Warte nicht zu lang. Sie ist zu gut. Wenn du nicht bald deinen Zug machst, tut es jemand anders.«
59
London, Mai 1941
»Eins, zwei drei …« Charles begann bis hundert zu zählen, während Matie und Liberty kichernd auf der Suche nach einem Versteck durch das Häuschen in den Garten rannten. Sobald sie außer Hörweite waren, ließ er sich in den Sessel am Fenster fallen und rieb sich die Nasenwurzel. Er hatte gerade einen Anruf von einem Freund in der Barnes-Colony bekommen. Für die Kinder war die Zeit gekommen, nach Spanien zurückzukehren, und sie würden die Mädchen bald abholen.
Charles blickte durch das rußige Fenster auf die leere Straße hinaus. Bislang hatten sie Glück gehabt. London wurde jede Nacht bombardiert. Im Gegensatz zu vielen, die sich während der Angriffe in Schutzräume oder in die U-Bahn flüchteten, führten er und Freya während der Bombardierungen ihr normales Leben fort. Freya hatte an diesem Morgen noch gewitzelt, dass sie »bombensicher« seien, aber er hatte Zweifel, ob das Leben jemals wieder einfach und sicher werden würde. Er dachte an die Unterhaltung der Mädchen beim Frühstück.
»Ich gehe nach Hause«, hatte Matie gelispelt, während sie ihr Porridge löffelte.
»Nach Hause? Wo ist das?« Liberty zog die Beine auf den Stuhl hoch.
»Mein Zuhause ist Spanien. Ich gehe nach Spanien.«
»Onkel Charles, wo ist mein Zuhause? Ist mein Zuhause auch Spanien?«
Charles hatte von seiner Zeitung aufgeblickt. »Nein. Dein Zuhause ist hier,
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