Das Haus der Tänzerin
die Nadel herauszog. »Solange Sie eine Weile nicht von mir verlangen, wieder eine direkte Transfusion zu machen, traue ich mir das zu.«
Tom presste Verbandsmull auf die Innenseite ihres Arms. »So, fertig. Drücken Sie das noch ein bisschen fest.«
»Ich kann das«, sagte sie. »Nur … na ja, es ist schwer, nicht wahr? Überall Verwundete, die schrecklichen Schreie.« Sie schüttelte den Kopf, während sie an die sauberen, ordentlichen Krankenstationen dachte, an die sie während ihrer Arbeit in der Nightingale Training School in London gewöhnt gewesen war.
Als die Sanitäter die Bahre mit dem Verwundeten anhoben, bot Tom Freya die Hand. »Wenn sie rufen › Enfermera, curandera, ven aqui! Schwester! Kommen Sie her!‹, dann haben sie eine Chance. Auf die Stillen, so wie den hier, muss man ein Auge haben.« Tom überprüfte die Papiere des Patienten und steckte sie dem Mann unter die Decke. »Jordi del Valle. Eigentlich habe ich ihn gegen meinen Instinkt gerettet, aber er ist so jung.«
»Kommt er durch?«
»Wer weiß? Bei Amputationen weiß man das nie so genau. Auf dem Tisch hätte er fast aufgegeben«, sagte Tom seufzend. »Wir müssen einfach zu viele behandeln und haben zu wenig Material.« Er sah hinab zu ihr. »Wir, zum Beispiel, wir arbeiten die Hälfte der Zeit bei Kerzenlicht.«
»Das ist ziemlich romantisch, wenn man es von der richtigen Seite sieht.«
»Schon wieder, Sie sehen immer das Positive.« Tom überprüfte den Verband an ihrem Arm. »Stört es Sie denn manchmal, wenn einer von ihnen amouröse Anwandlungen bekommt? Ich habe gesehen, wie sie sich benehmen.«
»Gar nicht. Die meisten sind wie Kinder. Sie sind einsam. Und diejenigen, die es nicht sind, nun …« Freya zog eine Pistole aus ihrer Schürzentasche.
Tom hielt lachend die Hände hoch. »Danke für die Warnung.«
»Ich wollte nicht …« Sie hielt inne, als von draußen Schreie zu hören waren. Eine Explosion erschütterte den Raum. Freya spürte, wie der Boden unter ihren Füßen bebte. Ihr rauschte das Blut in den Ohren. Tom zog sie in seine Arme.
»Ich dachte, wir wären hier sicher.« Instinktiv blickten beide hoch zur Decke und warteten, ob es weitere Explosionen geben würde.
»Alles in Ordnung?« Tom wich ein klein wenig zurück, ihre Taille hielt er immer noch umfasst. Sie hörte Schreie, schnelle Schritte im Gang.
»Ja, alles okay. Seltsam, nicht wahr? Wie unsere Reflexe gleich einsetzen.« Freya sah ihn an und wischte ihm den Staub von der Nase. Ihr Herz schlug schnell, durch den Adrenalinstoß und seine Nähe. Da beugte er sich vor, um sie zu küssen, seine Lippen berührten die ihren. »Küssen Sie alle Blutspender, Dr. Henderson?«
»Nur die hübschen.« Er lächelte und hob den Kopf, als draußen Hupen ertönten. »Ich muss zurück nach Madrid, aber auf den Tee will ich noch zurückkommen.«
Freya hielt seinem Blick stand. »Gerne.«
»Ich rede mit Beth, ob wir dich hier auch rausholen können«, sagte Tom beim Aufstehen. »Wir sehen uns bald.« In der Tür blieb er stehen und wandte sich zu ihr um. »Einen schönen Valentinstag, Freya.«
14
London, September 2001
»Ich bin froh, dass du wieder da bist«, sagte Freya zu Emma. »Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich dich nicht erreichen konnte.«
»Tut mir leid, ich habe mein Handy ins Meer geworfen.« Emma schlurfte durch einen Haufen goldener Blätter, die auf dem Weg lagen. Sie hatte sich Joes letzte Nachricht noch einmal angehört: Ich habe eine richtig große Dummheit gemacht. Hör mal, ich werde das wieder richten. Es war nicht zu ertragen. Es war zu spät.
»Du machst dir das aber zur Gewohnheit«, sagte Charles, der steif neben ihnen am Serpentine entlang herging. »Einfach zu verschwinden.«
»Liberty hat mir beigebracht, dass man sich auf niemanden außer sich selbst verlassen kann. Ich brauchte einfach etwas Zeit für mich allein.« Ein frischer Wind blies über das Wasser, als ein kleiner Junge ein rotes Segelboot auf das Wasser setzte.
»Unsinn. Du weißt, dass du dich immer auf uns verlassen kannst.« Charles klappte den Kragen seines schwarzen Wollmantels hoch. »Wir haben uns beide Sorgen gemacht. Du kannst nicht ganz allein mit all dem fertigwerden, Em.«
Freya schüttelte den Kopf. »Ich mag dich nicht so sehen. Du schaust wie früher als Kind, wenn du hingefallen warst, fest entschlossen, nicht zu weinen.«
»Es geht mir gut.« Emmas Kehle war wie zugeschnürt.
»Es gibt nichts Neues von Joe«, sagte Freya ruhig.
»Ich weiß.«
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