Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
bloß eine winzige Mitgift besaß, sondern auch, weil …
«Pauline, bist du da unten?», schallte Frau Steins Stimme die Treppe herab.
«Ja, gnädige Frau, ich bin hier! Ich habe Ihre Medizin mitgebracht und soll Ihnen Grüße vom Apotheker Burka ausrichten. Er dankt Ihnen für die Einladung zu der Soiree am kommenden Samstag.»
«Mach mir noch einmal einen Umschlag, Pauline. Und bring eine Tasse Tee mit, wenn du schon dabei bist. Danach braucht Christine deine Hilfe beim Frisieren. Heute Nachmittag kommt Elmar Schnitzler zu Besuch, da soll sie besonders hübsch aussehen. Mit etwas Glück wird er ihr schon bald einen Antrag machen», kam die Antwort von oben, dann hörte Pauline die Tür zum Schlafzimmer ihrer Arbeitgeberin klappen. Rasch ging sie in die Küche, um den Umschlag und den Tee vorzubereiten.
Zwei Stunden später saß sie im Salon, vor sich eine ganze Reihe von Kristallgläsern, die alle auf Hochglanz poliert werden mussten, damit die Gäste, allen voran der Bankierssohn Elmar Schnitzler, nicht auf den Gedanken kamen, der Haushalt würde nachlässig geführt. Nicht das kleinste Stäubchen durfte sich im Salon finden, denn schließlich wollte man eine Tochter an den Mann bringen. Und dazu musste gezeigt werden, dass diese aus einem ordentlichen Haus stammte, denn daraus ließ sich ableiten, dass auch Christine einmal imstande sein würde, einen ebenso perfekten Haushalt zu führen.
Pauline kannte diese Denkweise, hatte sie sie doch früher nur allzu oft in den Familien ihrer Bekannten erlebt. Nur hatte sie damals nie darüber nachgedacht, was für eine Heidenarbeit damit verbunden war, die Familien potenzieller Bräutigame zu beeindrucken.
Sie hatte eine ganze Stunde damit zugebracht, Fräulein Christines Haar zu frisieren und ihr beim Ankleiden zu helfen. Nun saß das Mädchen mit seiner endlich von den Kopfschmerzen genesenen Mutter im Musikzimmer und erhielt letzte Anweisungen, wie sie sich ihrem hoffentlich Zukünftigen gegenüber zu benehmen hatte. Frau Stein hatte auch höchstpersönlich die Musikstücke ausgesucht, die Christine nach dem Abendessen am Pianoforte vorzutragen hatte.
Pauline hob eines der Gläser an und hielt es prüfend gegen das Licht. Eheschließungen glichen in den höheren Kreisen einem Kuhhandel. Oder, so überlegte sie, vielleicht sogar eher einem Sklavenhandel. Die Sklavenhändler waren die Mütter, die Käufer die Freier – oder vielmehr meistens deren Eltern. Es sei denn, es handelte sich um einen Witwer in gesetztem Alter, der sich noch einmal eine junge Braut zu nehmen gedachte.
Seufzend stellte sie das Glas wieder auf den Tisch und nahm das nächste zur Hand. Die meisten Mädchen träumten von einem glühenden Galan, einem Prinzen, der sie auf einem weißen Ross entführte. Die wenigsten bekamen, was sie sich wünschten. Sie selbst eingeschlossen. Dabei war die Ehe grundsätzlich ein erstrebenswerter Stand für eine Frau. Der einzig erstrebenswerte, wenn sie nicht vorhatte, den Schleier zu nehmen. Davon war Pauline allerdings ebenso weit entfernt wie von dem Wunsch, sich einen Bräutigam zu angeln.
«Pauline, du sollst runter in den Laden kommen», rief Heiner durch die offen stehende Salontür. «Der gnädige Herr will, dass du unten aufwischst. Eine Kundin hat eine Flasche Öl oder so was runtergeworfen, und jetzt ist vor der Kasse eine große Sauerei.»
«Ja, Heiner, ich komme sofort. Sag bitte Tine Bescheid, dass sie hier mit den Gläsern weitermachen soll.»
«Tine ist nicht da. Die Gnädige hat sie irgendwo hingeschickt. Ich glaube zur Putzmacherin, um ein Band zu kaufen oder so.»
Pauline verdrehte die Augen. Wie sollte sie gleichzeitig die Gläser polieren und unten aufwischen? Und Elfie war noch immer mit den Kindern unterwegs.
«Beeil dich, sonst wird Herr Stein ungeduldig», drängelte Heiner. «Wenn das Öl zu lange auf den Holzdielen klebt, gibt es hässliche Flecken.»
Pauline stand auf. «Ich komme ja schon.» Rasch holte sie einen Eimer und füllte ihn mit heißem Wasser, das die Köchin zum Glück stets vorrätig hatte. Dann bereitete sie eine Seifenlauge, schnappte sich einen Putzlappen und eilte hinunter in den Laden.
Schon von weitem hörte sie die aufgeregte Stimme einer Frau, die sich immer und immer wieder für ihr Missgeschick entschuldigte, und dazwischen Herrn Stein, der versuchte, die Frau zu beruhigen. Während Pauline umgehend mit der Reinigung des Fußbodens vor der Kasse begann, schaffte es der Kaufmann schließlich, die
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