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Das Lächeln der toten Augen

Titel: Das Lächeln der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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einer Weile.
    »Das ist Erpressung«, wandte Jochen Eickelmann ein. »Dafür wandern wir alle ins Gefängnis. Da habe ich keinen Bock drauf.« Hochrot war sein Kopf und seine Sommersprossen schienen fast zu glimmen.
    »Ich will auch nicht ins Gefängnis«, bestätigte Luisa. Tränen kullerten ihr über das Gesicht.
    »Und wie hast du dir das Ganze vorgestellt?«, fragte Tommy trocken.
    Mike Landers überlegte einen Moment. »Wir schicken ihm einen Brief und legen ein Foto der Kette bei.«
    »Tolle Idee«, schnaubte Tommy. »Und schicken ihm das Kuvert mit der Post. Hinterlassen dabei auf der Briefmarke unsere Spucke und sind noch am gleichen Tag auf dem Polizeirevier zu Gast.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Jochen vorsichtig.
    »Ihr schaut wohl kein Fernsehen. In Amerika haben sie dadurch den Bombenleger von Oklahoma verhaftet«, erklärte Tommy wichtigtuerisch. »Wegen der DNA und dem ganzen Zeugs.«
    »Dann werde ich den Brief eben selbst vorbeibringen«, erwiderte Mike Landers trotzig. »Mitten in der Nacht, wenn es sein muss.«
    »Es gibt Fingerabdrücke, es gibt Schriftproben. Du weißt ja gar nicht, wodurch du dich alles verraten kannst.«
    Jochen Eickelmann nickte.
    »Wir landen alle im Gefängnis. Ich mache da nicht mit«, sagte Luisa und wischte sich die Tränen aus den Augen. »So sehr ich Sven auch vermisse, aber das kann er doch nicht von uns verlangen.«
    »Wir erpressen Halbermann ja nicht wirklich«, widersprach Mike. »Wir schauen nur, wie er reagiert. Wir klären damit den Mord an Maria. Das ist es doch wert. Niemand wird uns dafür ins Gefängnis bringen. Im Gegenteil. Die Polizei wird uns am Ende noch dankbar sein.«
    »Es geht um Simon Halbermann. Der hat Einfluss. Das ist nicht irgendein dahergelaufener Penner. Der verdient an einem Tag so viel Geld wie unsere Eltern in einem Monat. Du glaubst doch nicht, dass der sich das so einfach gefallen lässt. Der wird alles Mögliche unternehmen, um uns im Gefängnis zu sehen.«
    »Das ist mir egal. Dann mache ich es eben alleine. Ich bin es Sven schuldig. Ich brauche euch nicht dafür.« Wütend sprang Mike Landers auf. Er griff nach dem Bild auf dem Tisch und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Mit betretenen Gesichtern schauten sich die drei zurückgebliebenen Freunde an.
    »Glaubst du, er tut es?«, fragte Luisa schüchtern.
    Tommy schüttelte den Kopf. »Er ist wütend. Morgen kommt er wieder zur Vernunft.«
    *
    Er saß vor der feuchten Leinwand und musterte das Gemälde. Es war noch lange nicht fertig. Die Ränder der düsteren Farben verliefen in feinen Linien und durchtränkten das helle Grün im Mittelpunkt. Wie ein Strudel, doch lange noch nicht tief genug. Er würde noch einmal den Pinsel in die Farbe tauchen und ein zweites Mal über die Leinwand fahren. So lange, bis der Strudel den Mittelpunkt mit sich in die Tiefe riss. Er wusste, dass schwere Zeiten angebrochen waren. Er wusste, dass der Tod seine Karte aufgedeckt und ausgespielt hatte. Wie war die Antwort? Würde er den grünen Weg gehen müssen?
    Er musste die Sache im Auge behalten. Das war seine Aufgabe, sie waren nur Fragmente, kleine Bruchstücke eines großen Ganzen, einer Einheit. Sie vor der ewigen Finsternis zu beschützen, das war seine Aufgabe. Deswegen existierte er, nur deswegen.
    Seitdem die Dunkelheit angebrochen war und der Stein den Kreis passiert hatte, wurde das Gefühl der Hilflosigkeit schier unerträglich. Es war, als ob ihm alle Fäden aus den Händen glitten. Die anderen wussten nichts davon. Er musste Stärke zeigen. Er brauchte die Kraft für diesen ungleichen Kampf.
    Der Ritter war sein letzter Trumpf. Doch wann sollte er ihn spielen?
    Thuban blieb verdunkelt. Der Stein hatte ihm das Licht genommen und hüllte ihn in Schwärze.

5
    Mike war am vorangegangenen Abend spät zu Bett gegangen. Er hatte getan, was getan werden musste. Bis kurz nach zwei Uhr war er wach gewesen. Er hatte peinlich genau darauf geachtet, dass er das Blatt nicht mit seinen Fingern berührte. Es war schwierig gewesen, die einzelnen Buchstaben mit den Gartenhandschuhen aufzukleben. Das Kuvert hatte er mit einem Klebestreifen verschlossen, nachdem er den Computerausdruck des Fotos beigelegt hatte. Aber es war gut geworden. Das Gesicht und die Augen des Mädchens waren gestochen scharf.
    Die Villa lag noch im tiefen Schlaf. Die Rollläden waren geschlossen. Im Glanz der Morgensonne wirkte das Haus friedlich, ja fast beschaulich, doch in diesem Haus hatte sich ein Drama abgespielt.

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