Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
Sie wusste, dass hinter einem Vorhang ein Zwölfjähriger stand und ihr nachsah.
Roland hatte angeboten, dass der Fahrer sie bis nach Penang bringen sollte, doch Bette nahm lieber den Zug, obwohl die Fahrt lange dauerte. Sie liebte die dschungelüberwucherten Hänge, die Plantagen, die Dörfer und die Flüsse, die die Landschaft prägten.
Bette war froh, in einer Stadt zu sein. Die bedrohliche Lage auf der abgelegenen Plantage schien in weite Ferne gerückt. Sie gönnte sich ein paar schöne Tage und suchte Orte auf, die sie bei ihrem vorherigen Aufenthalt nicht gesehen hatte. Trotz der schwierigen Umstände machten ihr das Reisen und die Besuche bei Rolands Freunden großes Vergnügen. Diese wiederum nahmen die bezaubernde junge Frau mit Begeisterung in ihren Kreis auf.
Aber hinter dem scheinbar unbeschwerten Lachen, Trinken, Tanzen und Sport lauerte immer ein Schatten. Alle hatten auf die eine oder andere Weise den Krieg zu spüren bekommen, und jetzt mussten sie sich mit der Ungewissheit des Notstands und den Unabhängigkeitsbestrebungen herumschlagen. Manchmal hatte Bette den Eindruck, dass ihre Fröhlichkeit etwas Verzweifeltes an sich hatte. Aber sie dankte ihnen für ihre Gastfreundschaft und die Chance, etwas zu erleben und die reiche Kultur dieses Landes näher kennenzulernen und in ihren Skizzen festzuhalten. Und sie versicherte ihnen, sie stehe nach wie vor in Kontakt mit Roland und Margaret. Das traf nicht ganz die Wahrheit, denn Bette schrieb nur hin und wieder an Roland. Margaret hatte eindeutig klargestellt, dass es ihr gleich war, was Bette tat und wohin sie fuhr.
Auf sich gestellt, fühlte sich Bette frei wie nie zuvor. Sie stieg im Eastern & Oriental Hotel ab, wo es keine stirnrunzelnde Margaret gab, keine Eltern, um die sie sich sorgen musste, niemanden, der irgendwelche Forderungen an sie stellte. Ledige Männer gab es reichlich, und so war die Nachfrage nach den wenigen attraktiven ungebundenen Frauen groß. Bette konnte sich kaum retten vor Einladungen zu Tanzabenden und Dinnerpartys. Man traf sich zum Sport, zu Picknicks, Festen und Ausflügen.
Einmal luden Rolands Freunde Lorraine und Andrew Pike sie in ihr Sommerhaus in Penang Hill ein. Sie nahm die hübsche Standseilbahn mit den zwei Waggons, die unterwegs immer wieder haltmachte. Bette spürte, wie Hitze und Luftfeuchtigkeit mit zunehmender Höhe abnahmen. Bei einem kleinen Viadukt wurde sie von Andrew mit seinem Fahrer, aber ohne Auto, erwartet.
»Kannst du die kleine Tasche selbst tragen? Lim nimmt dann den Rest. Das Haus ist von der Haltestelle ein ganzes Stück entfernt«, erklärte Andrew. »Die anderen Gäste sind schon da.«
Im Gänsemarsch folgten sie einem Dschungelpfad, der an einer in den Fels gehauenen Treppe endete. Sie führte zu einem großen Bungalow auf einer Klippe mit phantastischem Ausblick.
»Wir haben dir das Ostzimmer gegeben, Bette, mit Sonnenaufgang frei Haus«, sagte Lorraine, als sie die junge Frau begrüßte. »Die Mädchen packen deine Sachen aus. Nach dem Aufstieg von der Haltestelle kannst du bestimmt eine kleine Stärkung vertragen. Komm, wir haben auf dem Rasen zum Tee gedeckt. Ich glaube, einige unserer anderen Gäste kennst du schon? Harold Mitchum und Tony Tsang sind alte Freunde von Roland und Margaret.«
»Ja, Tony Tsang und seine Frau habe ich vor Jahren einmal kennengelernt.«
»Haben dir Roland und Margaret erzählt, dass Mai Ling im Krieg umgekommen ist?«
»Nein, das haben sie nicht erwähnt. Wie traurig! Sie war eine große und sehr schöne Frau. Ich erinnere mich gut an sie«, sagte Bette. »Er muss sie sehr vermissen.«
»Ganz bestimmt. Sie wurde auf der Straße von einem Bombenangriff überrascht. Jedenfalls hat Tony eine große Familie mit vier Kindern und anscheinend sehr viele weitere Angehörige. Da wir dachten, er könnte eine Verschnaufpause von Geschäft und Verwandtschaft brauchen, haben wir ihn eingeladen«, erklärte Lorraine. »Wir sehen uns dann unten auf dem Rasen, wenn du so weit bist.«
Bevor sie sich zu den anderen gesellte, erkundete Bette bei einem kleinen Spaziergang das Grundstück. Sie entdeckte einen wohlbestellten Küchengarten und gepflegte Obstbäume und war überwältigt von dem Blick ins Tal. Auf den terrassierten Hügeln waren blühende Gärten angelegt.
»Dort unten gibt es viele versteckte Pfade. Man kann sehr schöne Wanderungen machen«, sagte eine freundliche Stimme hinter ihr. »Ich bin Tony Tsang. Ich glaube, wir haben uns vor dem Krieg bei
Weitere Kostenlose Bücher