Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest
Locken, die ihren Kopf wie eine Kappe umschmiegten. Ihre Silhouette zeichnete sich gegen das Licht ab. Sie zündete zwei Zigaretten an, beugte sich zu ihm und gab ihm eine.
»Zum Teufel damit«, sagte sie versonnen, »man kann nicht immer Glück haben.«
Langsam wurde ihm bewußt, wie gut er sich fühlte. Er wollte auf dem Fahrrad freihändig durch die Main Street fahren und die Flaggen der amerikanischen Staaten schwenken. Er hätte Häuser erklimmen oder stundenlang im Handstand stehen und mit den Zehen Stöckchen wirbeln können. Sie war ein großartiges Mädchen. Er mochte sie sehr.
»Was ist denn so schrecklich komisch?« wollte sie wissen.
»Entschuldigen Sie, es war mir nicht bewußt, daß ich lache.«
»Wovon leben Sie?«
»I-ich wechsle gerade den Job.«
»Welche Branche?«
»Nun - Investitionen.«
»Und die Investition bestand aus drei Königen gegen ein lausiges Full House. So ist das eben, Süßer.«
»W-was - Bonny Lee?«
»Ja?«
»Sie haben ... äh ... Sie haben gesagt, das es schön war?«
»Sie waren doch dabei, Bruder. So tief haben Sie auch wieder nicht geschlafen, das steht fest. Wollen Sie eine Medaille oder was? Ich schwör Ihnen, einmal möchte ich an einen Mann kommen, der nicht hören will, daß er der allerbeste ist. Was ist denn mit den Männern los? Ein Mädchen möchte einfach geliebt und begehrt werden, und ein Mann? Der tut, als ginge es jedes Mal um einen olympischen Rekord! Ihr habt alle Angst, daß ihr es nicht schafft und müßt es euch ständig beweisen. Dann stolziert ihr herum, als hättet ihr etwas Besonderes geleistet. Dabei kann's jeder Nerz schneller und besser. Großartig! Ich sag, es war in Ordnung, Zufrieden?«
»Tut mir leid, daß ich damit angefangen habe.«
»Mir auch, Süßer, mir auch. Mich langweilt es zu Tode, darüber zu reden. Wenn einer hungrig ist, ißt er ein Steak. Bleibt er dann bei den Knochen sitzen und redet darüber? Wenn man durstig ist, trinkt man ein großes Glas kaltes Wasser. Aber nachher herumhocken, ins Glas starren und überlegen, wie kalt das Wasser war? Zum Kuckuck! Ich finde ...«
»Ich habe gesagt, daß es mir leid tut, daß ich es erwähnt habe!«
»Schon gut, Sie brauchen mich nicht anzuschreien, Süßer. Sie sind ganz schön jähzornig.«
»Ich bin sehr sanftmütig, das war schon immer so. Ich verliere nie die Beherrschung! Und jetzt hören Sie damit auf, ja?«
»Sie sind aber empfindlich, Kirk! Gibt es hier etwas zu essen?«
»Etwas kalten Schinken und Roggenbrot.«
»Ich mache uns ein paar Sandwiches, dann geht es uns beiden wieder besser. Wissen Sie, daß es drei Uhr morgens ist?«
Sie ging in die Kochnische und schaltete die helle Leuchtstoffröhre ein. Er stützte sich auf die Kissen, damit er sie besser beobachten konnte. Ihre langen Beine waren braungebrannt und sahen aus, als hätte man sie aus rotem Sequoia-Holz geschnitzt, liebevoll geformt, glatt geschliffen und poliert. Sie bückte sich und ging herum, und er bewunderte die straffen Muskelpartien an Gesäß, Rücken und Schultern. Er war äußerst zufrieden darüber, daß sie - zumindest für den Augenblick - ihm gehörte. Am liebsten hätte er sich selbst eines über den Schädel gezogen, weil er sich diese alberne, arrogante Selbstgefälligkeit so lang nicht gegönnt hatte; er hatte ja nicht einmal geahnt, daß man so empfinden konnte.
Sie begann zu summen und kurz darauf zu singen. Ihre Singstimme lag eine Oktave tiefer als ihre Sprechstimme. Melodie und Text kamen ihm auf quälende Weise bekannt vor.
»Billie!« rief er plötzlich.
Sie drehte sich um und grinste ihn an. »Möge sie in Frieden ruhen. Ich habe ihre Platten gespielt, bis sie nur noch kratzten und zischten. Dann habe ich mir neue gekauft und die auch gespielt, bis sie den Geist aufgaben. Ohne die Lady hätte ich überhaupt keine Karriere gemacht. Haben Sie irgendeinen Lieblingssong von ihr?«
»God Bless the Chile.«
Sie klatschte entzückt in die Hände. »Verdammt, Kirk! Das ist mein Lied. Siebentausend mal habe ich es gesungen, für mich allein und für das Publikum, und jedesmal hat sich mir das Herz dabei umgedreht. Bei dem Lied kann ich weinen, wenn ich an das arme, einsame Frauenzimmer denke, und wie die Welt sie zerbrochen hat. Wenn wir mit dem Speck fertig sind, sing ich es für Sie. Sie machen die Augen zu, und werden glauben, daß sie wieder auferstanden ist. Sieh einer an, der rote Burgunder moussiert wie Sodawasser; den hab ich hier schon einmal getrunken. Möchten Sie ein
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