Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
Vom Netzwerk:
sitzt auf einer Bank inmitten von strahlend gelben Blüten. Sie lächelt, als sie mich sieht, steht aber nicht auf. Die Sonne hängt tief über dem Wald, das letzte Tageslicht dringt durch die Blätter des Waldes.
    Mir fällt auf, wie zerbrechlich sie aussieht, wie dünn. Sie atmet flach, ihre Lippen sind trocken und rissig. Ich setze mich neben sie und nehme ihre Hand. Sie ist noch heißer als Catchers Haut, die Blutvergiftung wütet in ihr. Ich umklammere ihre Finger, Tränen verbrennen mich. Die scharfen Ausdünstungen der Heilkräuter meiner Mutter steigen mir in die Nase, die zu spät verabreicht wurden, um die Krankheit noch herausziehen zu können.
    Elias kommt mit einer Laterne und einem Krug Wasser in den Innenhof. Ich bin mir seiner Gegenwart, jeder seiner Bewegungen und Atemzüge sofort bewusst. Er schaut mich kaum an, als er Cira etwas zu trinken anbietet. Sie winkt ab. Gerade als er gehen will, fragt sie ihn: »Glaubst du, was die anderen Soulers glauben?« Ihre Stimme ist rau und schwach.
    Elias erstarrt. Er wirft mir einen raschen Blick zu, ehe er Cira fragt: »Was meinst du damit?«
    Sie lächelt schwach. »An Auferstehung. Dass die Mudo ein zweites Leben haben. Eine zweite Chance.«
    Hinter Cira sehe ich Catcher in der Tür zu einem dunklen Raum stehen. Auch er erstarrt bei ihrer Frage, doch er schweigt. Im Zwielicht ist sein Gesichtsausdruck nur schwer zu erkennen, doch seine Augen wirken müde.
    Cira bohrt nach. »Die Soulers haben darüber geredet. In Vista, als wir alle zusammen festgehalten wurden. Sie haben uns von ihrem Glauben erzählt«, erzählt sie. »Sie haben gesagt, es sei eine andere Art zu leben. Eine Auferstehung.«
    »Das ist eine verrückte Sekte«, wirft Catcher aus der Dunkelheit ein.
    Cira schließt die Augen. Ich vermute, sie hat nicht gewusst, dass Catcher zuhört. Als sie die Augen wieder öffnet, ist ein Funke darin.
    Sie dreht sich zu ihrem Bruder um und sagt: »Aber da bist du, Catcher! Du bist angesteckt, aber du lebst immer noch. Es ist jetzt Wochen her … und du bist immer noch hier!«
    Die Arme über der Brust verschränkt und mit finsterer Miene bleibt er in den Schatten stehen. Ich verstehe nicht, worauf Cira eigentlich hinauswill, denn ich habe nur den einen Gedanken: wie heiß ihre Finger sind. Jeder Zentimeter von ihr ist ein loderndes Feuer. Sie steht von der Bank auf und geht auf unsicheren Beinen zu ihrem Bruder. »Und wenn das jetzt meine einzige Chance ist?«, fragt sie. »Du weißt genauso gut wie ich, dass ich morgen nicht mit euch gehen kann. Ich könnte niemals mit euch mithalten.«
    »Rede nicht so, Cira«, erwidert er.
    Ich schaue Elias an. Das hier zu beobachten, ist mir unangenehm, ich habe das Gefühl, wir sind Eindringlinge. Er jedoch hat seine Aufmerksamkeit ganz auf Cira gerichtet, mit schräg gelegtem Kopf scheint er nachzudenken.
    »Und wenn ich nun so bin wie du, Catcher? Was dann?«, fragt sie und legt die Hand auf Catchers Schulter.
    Und plötzlich verstehe ich alles. Warum sie vor Tagen in den Wald gelaufen ist. Was sie jetzt vorhat. Ich will protestieren, irgendetwas sagen, um sie davon abzuhalten, doch Elias presst mir die Finger auf den Arm und hält mich zurück.
    »Es lohnt sich nicht, das Risiko einzugehen«, sagt Catcher zu Cira. Kummer trübt seine Stimme, ich spüre ihn in jedem Herzschlag.
    »Ein Risiko gibt es nicht, Catcher. Begreifst du das nicht?« Jetzt brüllt Cira fast. »Ich sterbe. Entweder hier, wenn die Rekruter kommen, oder auf dem Pfad, wenn ich nicht mithalten kann. Die Entzündung geht nicht zurück. Das Fieber sinkt nicht.«
    Ich möchte die Augen schließen und den Kopf abwenden. Aber Elias nimmt meine Hand, seine Berührung gibt mir Kraft und Trost.
    Catchers Finger umklammern den Türrahmen. »Und was passiert, wenn es nicht funktioniert?«, knurrt er seine Schwester an. Damit spricht er aus, was ich denke. »Was passiert, wenn du so wirst wie sie?«
    Sie legt ihre Hand auf seine. »Dann lässt du mich so sein.«
    Er schluchzt auf. »Das kannst du nicht von mir verlangen, Cira.« Es schmerzt mich, sie so zu sehen.
    Cira lehnt den Kopf an seine Schulter, beide haben sie uns den Rücken zugewandt. Dieses Bild habe ich im Laufe meines Lebens wohl tausendmal gesehen: Cira, die sich an ihren Bruder anlehnt. Wie sie zu ihm aufschaut und versucht, ihn mit einem Scherz zum Lachen zu bringen, wie sie ihn nachsichtig stimmt, wenn sie in Schwierigkeiten geraten ist, wie sie ihn dazu bringt, ihr alles zu geben, was sie

Weitere Kostenlose Bücher