Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
Besucher waren gezwungen, mit einem kleinen, vereisten Kieshof vorliebzunehmen. In der Nähe des dunkelblauen Wolga, den er für die beiden Amerikaner angeschafft hatte, schien sich nichts zu regen.
Dann spannten sich Kirows Muskeln unvermittelt an. Er hörte das Brummen kräftiger Motoren in den Wäldern. Das Geräusch war zwar noch ein gutes Stück entfernt, doch es kam unverkennbar näher. Er richtete sich ein wenig auf, um einen besseren Überblick zu bekommen, ließ sich sofort wieder flach auf den Bauch fallen und griff eilends in seine Manteltasche.
Kapitel fünfunddreißig
Jäh schrillte Jons Handy.
»Entschuldigen Sie mich«, bat er die Witwe, während er es aufklappte. »Ja?«
Es war Kirow. »Ihr müsst gehen, Jon. Sofort!«, drängte der Russe. »Zwei Zivilfahrzeuge sind gerade von der Hauptstraße abgebogen. Sie fahren direkt auf die Datscha zu. Los jetzt! Hinten raus!«
»Sind schon unterwegs«, antwortete Smith grimmig. Er klappte das Handy zu, stand auf, schnappte sich seinen Wintermantel und tastete nach der 9mm-Makarow in der Manteltasche. Einen Moment lang war Jon versucht, sich im Haus zu verschanzen, aus der Deckung heraus zu kämpfen, statt ins Freie zu flüchten. Doch dann verwarf er den Gedanken. Mit der Witwe und ihren Bediensteten um ihn herum wollte er keine Schießerei riskieren. Wenn Kugeln flogen, konnten zu viele Unschuldige verletzt oder getötet werden.
»Gibt’s Ärger?«, fragte Fiona hastig auf Englisch. Sie war ebenfalls aufgesprungen und sammelte bereits Mantel und Handschuhe ein.
»Wir bekommen Besuch«, murmelte er in derselben Sprache. »Wir lassen den Wagen zurück und hauen ab. Oleg wird uns draußen abholen.«
Blass und angespannt nickte sie.
Die alte Russin schaute verwirrt zu ihnen auf. »Sind Sie schon fertig mit Ihren Fragen? Gehen Sie jetzt?«
Smith nickte. »Ja, Madame Sakarowa, wir gehen. Und zwar auf der Stelle.« Unbeeindruckt von der aufgeschreckten Witwe führte
er Fiona aus dem Wohnzimmer in den breiten zentralen Flur der Datscha. Dort begegneten sie einer drallen Magd mittleren Alters, die den Tee und die Plätzchen brachte, die ihre Herrin ihnen bei der Ankunft widerwillig angeboten hatte. »Wo ist die Hintertür?«, fragte Jon.
Verwundert deutete die Magd mit dem Kopf auf den Flur zu ihrer Linken, in die Richtung, aus der sie gerade gekommen war. »Da lang«, erwiderte sie, sichtlich erstaunt von der Frage. »Durch die Küche.«
Die beiden Amerikaner gingen eilig an ihr vorbei den Flur entlang. Hinter ihnen begann jemand, heftig an die massive Haustür der Datscha zu hämmern. »Milizija!«, brüllte eine laute Stimme. »Aufmachen!«
Jon und Fiona hasteten schneller voran.
Die Küche war recht groß und mit allen modernen Errungenschaften bestückt – Gasherd, Kühlschrank, Gefrierschrank, Mikrowellenherd und was es sonst noch gab. Köstliche Düfte erfüllten den warmen Raum. In der Ecke saß ein weiterer Bediensteter von Madame Sakarowa, ein junger, kräftiger Kerl, der gerade sein Abendessen auslöffelte, eine Schüssel Pelmeni – gefüllte Teigtaschen mit saurer Sahne und fetter, zerlassener Butter. Erstaunt blickte er auf, als sie an ihm vorbeirannten. »Hey, wo wollen Sie …?«
Smith bedeutete ihm, sitzenzubleiben. »Die Dame fühlt sich nicht wohl«, erklärte er. »Sie braucht etwas frische Luft.«
Ohne weitere Diskussion zog er die schwere Holztür auf. Licht und Wärme ergossen sich in die eisige Dunkelheit und erhellten ein schmales Stück weißen Tiefschnee. Die Datscha stand auf einer kleinen Lichtung im Wald und die nächsten Bäume waren nur wenige Meter entfernt. Ein schmaler Trampelpfad führte durch den Schnee zu einer Reihe von Abfalltonnen an der Rückseite des Hauses.
»Schnell jetzt«, flüsterte Smith Fiona zu. »Und sobald wir unter den Bäumen sind, laufen Sie wie der Teufel. Halten Sie sich
nach links. Lassen Sie sich von nichts und niemandem aufhalten, bis wir auf Kirow stoßen. Verstanden?«
Sie nickte entschlossen.
Zusammen rannten die beiden Amerikaner auf den Wald zu, dabei sanken sie bis zu den Waden im knirschenden Pulverschnee ein. Smith schöpfte kurz Atem und ließ die saubere, arktische Luft tief in seine Lungen dringen. Nur ein paar Sekunden, dachte er. Mehr brauchen wir nicht, um zu entkommen.
Urplötzlich traten drei bewaffnete Männer unter den Bäumen hervor. Alle drei trugen Schnee-Tarnanzüge und russische AKSU-Maschinenpistolen. Zwei waren kleiner als Smith, aber mit dicken Muskeln
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