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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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Eigenartige Stille. Wie im Zentrum eines Orkans. Nicht gut. Wir schauen uns an. Birgit zieht eine Augenbraue hoch. Haben wir hinter uns die Balkontür zugemacht? Also, kann es sein, dass ich die Tür von innen verriegelt habe?
    Wir steigen aus dem Bett, schleichen über den Flur, öffnen leise die Tür zum Wohnzimmer. Und da sehe ich, wie sie beide an der Scheibe stehen, die Hände um das Gesicht gelegt, um hereinschauen zu können.
    Mein Vater steht an der Glastür, er hämmert wie ein Bekloppter gegen das Glas.
     
    »Andrea?«
    »Ja?«
    »Was machen wir jetzt?«
    »Scheiße.«
    Pause.
    |125| »Geh mal hin und mach ihnen die Tür auf, Birgit.«
    »Bist du bescheuert? Du hast die Tür zugemacht.«
    »Scheiße.«
    »Scheiße.«
     
    Ich starre den Samowar an, den Ofen, den runden Tisch, die Tapete, die ein Holzmuster zeigt, den grünen Teppich, die zwei Hibiskusbäume, die bei unserer Geburt gepflanzt worden sind. Hibiskus. Lebensbaum. Ich habe vor ein paar Jahren hineingeritzt in die Rinde von meinem Lebensbaum, darunter war hellgrünes Holz. Im Schrank verstecken? Keine gute Idee. Im Schrank wird man schnell gefunden.
    Ich starre auf das Kupferbild, auf dem eine Frau mit Bogen zu sehen ist. Ich will hineinrennen, in das Bild hinein, ich brauche den Bogen, dringend, ich brauche einen Notausgang. Ich sehe mich um. Keiner zu sehen. Einzige Möglichkeit: Balkontür öffnen.
    Nicht einmal eine Lüge könnte die Situation retten. Das hat man schon gelernt. Die Uhr zurückstellen bei Verspätungen, Wer-hat-Fragen sofort verneinen. Lügen lernen.
    »Dann geh jetzt besser ins Zimmer und leg dich in den Bettkasten«, sage ich zu Birgit.
    Sie geht. Ich gehe zur Balkontür und beuge mich, mit einem Bein schon in gegenüberliegender Fluchtrichtung stehend, nach vorn, strecke den Arm, so weit es geht, nach vorn, alles dehnt sich. Mit Daumen und Zeigefinger drücke ich die Klinke nach oben. So, offen. Rennen. Denn jetzt beginnt die Jagd. Die Wohnung ist jetzt gar nicht mehr groß.
     
    Ein bisschen fange ich an, Birgit zu hassen. Ich bin eifersüchtig, weil sie im Bettkasten liegt und vergessen worden ist. |126| Und Michel schläft. Als Einziger hat er ein eigenes Zimmer. Das tut mir auch leid. Da ist man allein. Am nächsten Morgen kommt er verpennt aus seinem Zimmer. Wir treffen uns im Badezimmer vorm Spiegel und kämmen uns den Pony zur Seite.
    Ich: »Ich würde gern fliegen können.«
    Er: »Da müssen wir zaubern.«
    Ich: »Wie?«
    Er: »Da müssen wir eine Hexe fragen.«
    Ich: »Wo wohnt die?«
    Er: »In den Bergen.«
     
    Irgendwann später holt uns Hans zum Rummel ab. Wir fahren mit allen Karussells, die es gibt, und Birgit muss sich hinsetzen, an den Rand einer Teetassenachterbahn, und dann kotzen. Dann gehen wir zu einer Wahrsagerin. Ein kleines, blaues Zelt hat sie, und am Eingang bekommen wir so einen Prospekt zu unserem Sternzeichen, wo hinten auch unsere Glückszahlen draufstehen. Die Zettel schmeißen wir gleich weg.
    Auf einem kleinen, gesprenkelten Schild, silberrosa mit gelben Pünktchen, steht: Betty Patzig – Zukunftsmanagerin. Ein Aufsteller im gleichen Muster wirbt für ihre buddhistische Thaimassage. In einem Glaskasten vor dem Zelt Zeitungsartikel mit Fotos. Ein Horoskop kann man sich von ihr auch erstellen lassen. Vor dem Zelt eine lange Schlange, manche Leute lesen Zeitung: »Steht wieder nur Mist drin.«
    Betty Patzig ist Mandantin. Zu schnell gefahren auf der Autobahn und geblitzt worden, betrunken gewesen und dann in Erfurt in einer schmalen Straße links und rechts stehende |127| Autos gerammt. Schaden 200   000 Mark. Wir lachen. »Betrunken kann sie nichts sehen«, sagt Hans. »Eine witzige Schlaumeierin, hat mal im Orchester gespielt, leider zu blau, wir gehen mal weiter.« Neben dem Wahrsagerzelt ist ein Losstand. Hans kauft drei Lose. »Die hatte schon vor der Wende Probleme. Total unangepasst. Komisch, jetzt ist es nicht besser geworden.« Birgit schreit kurz auf. Sie hat einen Kugelschreiber gewonnen. Sie sucht sich eine rosafarbenen Glitzerkugelschreiber aus, wo »Hoch-Tiefstapelbau« drauf steht. Wir gehen weiter.
     
    Hans: »Da ist mit den Jahren unter der Käseglocke eine Kultur entstanden, die ihresgleichen sucht. Ein Land der Größe von Nordrhein-Westfalen hat drei Orchester. Drei Weltklasseorchester.
    Die Partei hat ja weitgehend gar nicht verstanden, was da vor sich ging. Sie haben das erst gefördert und dann nicht mehr kapiert. Die Kunst ist über den Staat hinausgewachsen. Oder

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