Das Schweigen des Glücks
eine Bank, die vor dem Geschäft standen. Dort stellte sich eine feste Gruppe Stammkunden jeden Morgen zum Kaffee ein.
Der Laden selbst war klein – vielleicht zweihundert Quadratmeter –, aber Denise war jedes Mal überrascht, wenn sie sah, wie viele verschiedene Produkte in den Regalen Platz fanden. Denise lud ein paar Sachen, die sie brauchte, in einen Plastikkorb – Milch, Haferflocken, Käse, Eier, Brot, Bananen, Cheerios, Makkaroni, Ritz Cracker und ein paar Süßigkeiten (für die Arbeit mit Kyle) – und ging zur Kasse. Der Betrag war niedriger, als sie erwartet hatte, was sie erfreute, aber im Gegensatz zum Supermarkt bekam man hier keine Plastiktüten, um seine Einkäufe zu verstauen. Stattdessen packte der Besitzer – ein Mann mit ordentlich gekämmten weißen Haaren und buschigen Augenbrauen – alles in zwei braune Papiertüten.
Das war ein Problem, auf das sie nicht vorbereitet war.
Ihr wären Plastiktüten lieber gewesen, weil sie die über den Lenker hängen konnte – aber Papiertüten? Wie sollte sie das alles nach Hause transportieren? Zwei Arme, zwei Tüten, zwei Griffe am Lenker – es kam nicht hin. Schon gar nicht, wenn sie auch noch auf Kyle Acht geben musste.
Sie überlegte hin und her, und als sie zu ihrem Sohn hinuntersah, bemerkte sie, dass er mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht durch die Glastür auf die Straße blickte.
»Was ist los, Schatz?«
Er antwortete, doch sie verstand nicht, was er sagen wollte. Es klang wie
feuaman.
Sie ließ ihre Einkäufe auf der Theke stehen und hockte sich neben ihren Sohn, damit sie ihn beobachten konnte, während er es wiederholte. Wenn sie ihm auf den Mund sah, konnte sie ihn manchmal besser verstehen.
»Was hast du gesagt? Feuermann?«
Kyle nickte und sagte es noch einmal. »Feuaman.«
Diesmal zeigte er dabei auf die Straße und Denise sah in dieselbe Richtung. Als Kyle zur Tür ging, verstand Denise, was er meinte.
Nicht Feuaman, obwohl das gar nicht so weit gefehlt war.
Feuerwehrmann.
Taylor McAden stand vor dem Geschäft und hielt die Tür halb auf, während er mit jemandem sprach, den sie nicht sehen konnte. Sie sah, wie er nickte und winkte und wieder lachte und die Tür weiter aufmachte. Als Taylor das Gespräch beendete, rannte Kyle auf ihn zu. Taylor kam in den Laden, ohne besonders aufzupassen, und hätte Kyle beinahe umgestoßen.
»Hoppla, Entschuldigung – hab dich gar nicht gesehen…«, sagte er spontan, »tut mir Leid… «
Er trat einen Schritt zurück und blinzelte verwirrt. Dann, im Moment des Erkennens, breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht und er hockte sich hin, um mit Kyle in Augenhöhe zu sein. »Na, hallo, kleiner Mann. Wie geht es dir?«
»Haoo, Taya«, sagte Kyle glücklich.
Ohne ein weiteres Wort schlang Kyle seine Arme um Taylor, wie er es in jener Nacht in dem Ansitz getan hatte. Taylor war einen Moment verunsichert, dann erwiderte er die Umarmung mit einem Ausdruck der Zufriedenheit und Überraschung.
Denise sah konsterniert zu, die Hand auf dem Mund. Nach einem langen Moment lockerte Kyle seine Umarmung, so dass Taylor sich freimachen konnte. Kyles Augen funkelten, als hätte er einen lang verlorenen Freund wieder gefunden.
»Feuaman«, sagte Kyle aufgeregt. »Hat di funden.«
Taylor legte den Kopf auf die Seite. »Was sagst du da?«
Denise löste sich aus ihrer Erstarrung und kam auf die beiden zu. Sie konnte kaum glauben, was sie da eben gesehen hatte. Selbst seine Sprachtherapeutin, zu der er ein Jahr lang gegangen war, hatte er nur dann umarmt, wenn seine Mutter ihn dazu aufgefordert hatte. Es war nie freiwillig gewesen, anders als gerade eben, und Denise war sich nicht ganz sicher, wie sie zu Kyles außergewöhnlicher neuer Zuneigungsbekundung stand. Zu sehen, wie ihr Kind einen Fremden umarmte – auch wenn es ein guter Fremder war –, weckte in ihr etwas widersprüchliche Gefühle. Es war schön, aber gefährlich. Süß, aber es sollte nicht zur Gewohnheit werden. Gleichzeitig war die unkomplizierte Art, mit der Taylor auf Kyle reagierte – und andersherum –, alles andere als bedrohlich. All diese Gedanken schossen ihr durch den Kopf, als sie dazutrat und für ihren Sohn antwortete.
»Er will sagen, dass Sie ihn gefunden haben«, sagte sie leise. Taylor blickte auf und sah Denise zum ersten Mal seit dem Unfall. Einen Moment lang konnte er seine Augen nicht abwenden. Zwar hatte er sie schon einmal gesehen, aber sie sah… na ja, sie sah attraktiver aus, als er sie in Erinnerung
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