Das Todeswrack
König, denn die Königin war zu diesem Zeitpunkt schon tot.«
»Was für ein Jammer, ein solch wertvolles Dokument zu verlieren.«
»Nicht wirklich. Kolumbus hat nie eine fünfte Reise unternommen.«
»Natürlich, das hätte ich selbst wissen müssen. Aber dann verstehe ich diesen Brief nicht.«
Vom anderen Ende der Leitung drang aus dreitausend Meilen Entfernung ein herzliches Lachen an sein Ohr. »Eine Fälschung,
amigo
. Ein Schwindel. Wie heißt es bei euch? Der Brief war getürkt.«
»Woher weißt du, dass er gefälscht war? Aufgrund der Handschrift?«
»O
nein,
die Handschrift ist ziemlich gut. Sie wirkt so authentisch, dass selbst ein Experte keinen Unterschied feststellen könnte.«
»Woher willst du dann wissen, dass es sich um einen Schwindel handelt?«
»Ganz einfach. Kolumbus ist am 20. Mai 1506 gestorben. Der Brief ist
später
datiert.«
Perlmutter hielt kurz inne und dachte nach. »Könnte man sich hinsichtlich seines Todestags geirrt haben?«
»Das Haus an der Galle de Cristobal Colón, in dem er gestorben ist, steht immer noch. Es gibt jedoch Kontroversen darüber, wo er begraben liegt. Seine Überreste befinden sich entweder in Sevilla, in Santo Domingo oder in Havanna.
Mindestens acht verschiedene Urnen enthalten angeblich seine Asche.« Ortega seufzte laut. »Wenn man sich mit diesem Mann beschäftigt, fischt man häufig im Trüben.«
»Ich weiß noch, in deinem Buch
Entdecker oder Dämon?
Hast du geschrieben, dass man sich nicht einmal sicher ist, wo er
geboren
wurde.«
»Ja, stimmt. Man weiß nicht genau, ob er Spanier oder Italiener war. Er hat behauptet, in Genua geboren worden zu sein, aber Kolumbus war nicht unbedingt für seine Aufrichtigkeit bekannt. Manche glauben sogar, er stamme von der griechischen Insel Chios. Die offizielle Version besagt, er sei bei einem italienische n Weber in die Lehre gegangen. An anderen Stellen wird das bestritten und stattdessen erklärt, er sei in Wirklichkeit ein spanischer Seemann namens Colón gewesen.
Wir wissen, dass er die Tochter eines portugiesischen Adligen geheiratet und sich in den Kreisen des Königshofs bewegt hat, was für den einfachen Sohn eines Webers ziemlich schwierig zu bewerkstelligen gewesen wäre. Es existieren keine verbürgten Porträts. Ein rundum geheimnisvoller Mann. Und das dürfte ganz in seinem Sinne sein. Er hat sich stets nach Kräften bemüht, seine Herkunft zu verschleiern.«
»Das hat mir schon immer Kopfzerbrechen bereitet.«
»Damals herrschten turbulente Zeiten, Julien. Kriege. Intrigen.
Die Inquisition. Vielleicht hat er bei einer königlichen Kontroverse die falsche Seite gewählt.
Vielleicht stand er in Diensten eines Landes, das sich mit Spanien im Krieg befand oder von Spanien bezwungen wurde.
Es gibt auch Gerüchte um eine adlige Abstammung und Hinweise darauf, dass er der uneheliche Sohn eines spanischen Fürsten gewesen sein könnte. Daher auch der Name Cristobal Colón, unter dem er im späteren Verlauf seines Lebens bekannt geworden ist.«
»Wirklich faszinierend, Juan. Wir müssen uns bei einem Glas Sangria ausführlicher darüber unterhalten, sobald wir uns das nächste Mal treffen. Aber ich würde gern etwas mehr über dieses gestohlene Dokument erfahren.«
»Hast du schon mal von dem Mönch Las Casas gehört?«
»Ja, er hat Teile des ursprünglichen Kolumbus-Logbuchs transkribiert.«
»Richtig. Kolumbus hat das Logbuch seiner ersten Reise Königin Isabella überreicht, seiner Gönnerin. Daraufhin ordnete sie die Anfertigung einer exakten Kopie an, welche sie dann an Kolumbus weitergab. Nach dem Tod des Admirals ging diese Barcelona-Kopie, wie man sie nannte, in den Besitz seines Sohns Diego über, zusammen mit zahlreichen Karten, Büchern und Manuskripten. Letztere erhielt schließlich Fernando, ein uneheliche r Sohn, den Kolumbus mit einer Geliebten gezeugt hatte. Er erinnert mich oft an dich, Julien.«
»Das ist nicht das erste Mal, dass man mich einen Bastard nennt, und es wird auch nicht das letzte Mal sein.«
»Ich wollte nicht deine Herkunft in Zweifel ziehen, mein Freund. Er war Archivar und Gelehrter, das habe ich gemeint. Er liebte Bücher und trug eine der erlesensten Bibliotheken Europas zusammen. Als er 1539 starb, vererbte er seine Besitztümer, Bücher und Kolumbus-Papiere an Luis, den Sohn Diegos. Luis’ Mutter brachte den größten Teil von Fernandos Habseligkeiten in ein Kloster hier in Sevilla. Ihr Tod im Jahre 1544 sollte sich als weltweite Tragödie
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