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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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nach haben sie mit ungefähr einhunderttausend Namen angefangen, sie hatten also ziemlich jeden körperlich gesunden Mann in Florenz erfaßt. Dann haben sie die raus gefiltert, die schon einmal für Gewaltverbrechen verurteilt worden sind und so weiter.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt warten wir ab. Sie seien runter auf zehn, war das letzte, was ich gehört habe, aber ich bin mal gespannt, was als nächstes passiert. Ob wir an zehn Türen anklopfen und fragen: ›Entschuldigen Sie, mein Herr, sind Sie vielleicht zufällig das Monster?‹ ›Nein‹, sagt der Betreffende, ›bin ich zufällig nicht.‹ ›Na dann, nichts für ungut und auf Wiedersehen.‹ Der Regen wird immer schlimmer. Können Sie die Heizung jetzt vielleicht ein bißchen zurückdrehen? Drinnen schwitzt man, und draußen wird man völlig durchgeweicht. Was für ein Tag!«
    Der Regen wurde tatsächlich immer stärker, er prasselte so heftig auf die Windschutzscheibe, daß die Scheibenwischer sie sogar auf höchster Stufe kaum freihielten. Von den Rädern der Wagenkolonne sprühten feine Wasserfontänen hoch. Auf der nördlichen Umfahrungsstraße mußten sie dann in langen Staus ausharren, während der Regen ihnen aufs Dach trommelte und vor und hinter ihnen zornig gehupt wurde. Beharrlich wie der Regen redete Ferrini weiter und schilderte den Streit zwischen dem Büro des Staatsanwalts und dem Untersuchungsrichter.
    »Natürlich konnte man bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, warum der Staatsanwalt so ungeduldig war. Es ging schon seit Jahren so, die Zeitungen berichteten über nichts anderes mehr. Man hatte schon vier verschiedene Monster verhaftet, und jedesmal schlug dann das echte wieder zu. Wenn Sie mich fragen, wußte keiner von den Leuten, die mit dem Fall befaßt waren, was er tat oder tun sollte. Die liefen alle rum wie aufgescheuchte Hühner.«
    »Das überrascht mich gar nicht. Keine Ahnung, was ich an ihrer Stelle getan hätte. Es ist alles so seltsam.«
    »Seltsam ja. Aber ich weiß, was ich getan hätte. Ich hätte die bei einem Mord übliche Untersuchung durchgeführt, die gängigen Ermittlungen vorgenommen und nach einem Informanten Ausschau gehalten, denn den hätte es durchaus geben können. Es ist ja kaum zu glauben, daß alle diese Voyeure, die Samstagabends auf dem Land durch die Gegend streifen, ihm nie begegnet sind. Teufel noch mal, ja, das war wirklich seltsam, wie sie die Ermittlungen durchgeführt haben! Sie haben sich so auf ihre psychologischen Täterprofile und ihre weithergeholten Erklärungen versteift, daß darüber die Hälfte der Routineuntersuchungen vergessen ging. Haben Sie schon einmal von einem Mordfall gehört, bei dem niemand die Blutgruppe des Opfers feststellt? Jedenfalls hatte das Büro des Staatsanwalts die Nase gestrichen voll, und diese neue Untersuchung lief an, während die Ermittlung gegen die Sarden noch gar nicht abgeschlossen war. ›Kompromiß‹ haben sie es genannt. 1984 war das. Simonetti hat es als ›neuen Anlauf‹ angepriesen, als die neue Untersuchung mit dem jetzigen Oberstaatsanwalt als Verantwortlichem und Simonetti als seinem Adlatus angekurbelt wurde. Hat sich, alles in allem, für beide ganz gut entwickelt. ›Frisch und unvoreingenommen‹, so der Slogan. ›Die Sarden kann man vergessen.‹ Und als der Untersuchungsrichter Einspruch erhob, sagte Simonetti zu ihm: ›Wenn Ihre Theorien zutreffen, müssen unsere jeweiligen Ermittlungsergebnisse ja damit übereinstimmen.‹ Daß er selbst auf der falschen Fährte sein könnte, dieser Gedanke ist ihm natürlich nie gekommen.«
    Das entsprach genau dem, was der Maresciallo an jenem ersten Morgen auch gedacht hatte, als er dem Vortrag Simonettis gelauscht hatte. Immer so überzeugt davon, sich nicht zu irren, auch wenn er unwiderlegliche Beweise für das Gegenteil vor sich hat.
    »Wenn beide recht hätten«, warf er nun mit übertriebenem Gerechtigkeitssinn ein, »würde das natürlich schon stimmen.«
    »In einer vollkommenen Welt wären beide im Recht«, erwiderte Ferrini lachend, »und beide könnten auch beweisen, daß sie richtig liegen, und jeder von ihnen hielte die Hälfte der Indizien in der Hand, und wenn sie das Ungeheuer beim Geständnis in die Mitte nähmen, könnte man davon sogar ein Foto machen. Eine solche Szene kann ich mir aber nur schwer vorstellen, und Sie? Und sollten wirklich handfeste Indizien auftauchen, prophezeie ich Ihnen schon heute, daß dies, wer auch immer sie liefert, als unser Verdienst hingestellt

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