Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
Auch Baron Anton wollte sich diesem Verband anschließen, da es seine Idee gewesen war und er, sollte das Vorhaben fehlschlagen, dem König zur Seite stehen wollte.
König Malo hatte Lord Valdeer zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt, die nach Norden zogen. Baron Keevan wurde zu seinem Stellvertreter bestimmt, und jeder Mann, der auch nur halbwegs mit dem Schwert umgehen konnte, wurde einberufen. Sogar die meisten Palastwachen sollten ins Feld ziehen; sie begleiteten den König nach Süden.
Unter den Veteranen wurden Klagen laut, die zwangsweise einberufenen Soldaten ohne militärische Ausbildung würden ihnen mehr Last als Hilfe sein. Doch im Großen und Ganzen war die Stimmung in den vereinten Streitkräften, die nach Norden marschieren sollten, glänzend.
Calvyn ergriff am nächsten Morgen während ihres gemeinsamen Wachdiensts die Gelegenheit, mit Jenna zu reden. Er warnte sie, ihre Freundlichkeit gegenüber Demarr könne ihr schaden.
»Vielen Dank für den Rat, Korporal Calvyn. Ich bin mir
dessen durchaus bewusst«, gab Jenna hochmütig zurück. »Aber ich dachte, dass wenigstens du das verstehen würdest. Die anderen geben ihm ja keine Chance.«
»Er hat all seine Chancen verspielt«, erwiderte Calvyn kühl.
»Nein, hat er nicht. Du selbst hast ihm eine weitere Chance gegeben, denn du hast ihm in Mantor das Leben gerettet – gleich zweimal, wenn ich mich recht erinnere. War das alles nur Theater, damit du, wenn der König nicht dabei ist, mit ihm abrechnen kannst?«
»Wie ich schon vor dem König gesagt habe, Jenna: Seine Taten werden ihm jeden einzelnen Tag seines Lebens zur Hölle machen. Die Leute im Trupp fügen ihm ja keinen körperlichen Schaden zu …«
»Noch nicht«, unterbrach ihn Jenna wütend. »Aber das kann sich bald ändern, wenn du diesem Treiben ein Ende bereitest.«
Calvyn dachte einen Augenblick nach.
»Demarr weiß sich schon zu wehren …«, sagte er störrisch.
»Gegen einen ganzen Trupp? Ich habe dich immer für einen guten Anführer gehalten, Calvyn. Glaub mir, ich habe mich riesig darüber gefreut, dass du so schnell befördert worden bist, aber ich frage mich allmählich, ob ich mich in dir getäuscht habe. Mach die Augen auf, Korporal. Wenn das mein Trupp wäre, würde ich es nicht dulden, dass ein Keil zwischen meine Leute getrieben wird und sie sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen.«
Schweigend und mit leerem Blick dachte Calvyn einen Moment nach. So ungern er es zugab: Jenna hatte recht. Für Rachsucht war hier kein Platz. Der König hatte sein Urteil über Demarr gefällt, und es stand weder ihm noch jemand anderem zu, das Strafmaß zu verschärfen.
Calvyn lächelte Jenna gequält an. »Du hast recht, Jenna. Ich bin in letzter Zeit nicht ganz bei mir. Wahrscheinlich war es die Enttäuschung darüber, dass ich Mantor verlassen muss, ehe ich mich der Horden schöner Frauen erwehren kann.«
Jennas Miene hellte sich bei der Erwähnung des gemeinsamen Scherzes auf. So viel war seither geschehen. Die Freundschaft, die Calvyn und sie vor der Schlacht von Mantor verbunden hatte, war gleich mehrfach auf die Probe gestellt worden. Erst hatte sie herausgefunden, dass Calvyn heimlich Magie gewirkt hatte, und nun trugen sie auch noch unterschiedliche Dienstgrade. Früher hatten sie die ganze Zeit Scherze miteinander getrieben, doch das war zwischen einer Gefreiten und einem Korporal nicht mehr angemessen.
»Ich rede noch vor dem Abmarsch mit den Leuten und versuche, diese Sache in den Griff zu bekommen. Versprich mir nur eins, Jenna.«
»Was denn?«
»Wenn mir mal wieder die richtige Sicht auf die Dinge abhandenkommt, haust du mir dann ordentlich eine runter? Mir sind deine Freundschaft und Aufrichtigkeit wichtig. Ich will sie wegen so etwas nicht verlieren.«
Jenna trat einen Schritt zurück, legte die linke Hand auf die Hüfte und holte mit der rechten Hand aus. »Klar«, sagte sie, und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Ich fange schon mal mit dem Training an.«
3
Nach dem Gespräch mit Jenna weckte Calvyn seinen Trupp etwas früher als sonst zum Appell. Als alle angetreten waren, machte er ihnen unmissverständlich klar, dass mit den Beleidigungen und Rempeleien ab sofort Schluss sein müsse.
»Denkt an eure Ausbildung«, ermahnte er sie streng. »Ein Trupp isst zusammen, schläft zusammen und kämpft zusammen. Wenn ihr nicht jedes einzelne Mitglied eures Trupps als euren Waffenbruder achtet, könnt ihr auch nicht erwarten, dass der
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