Das waren schöne Zeiten
einen eingleisigen Verstand und erwies mich als unterdurchschnittlich in allem, was mit Chemie und Physik zusammenhing. Ich glaube nicht, daß ich in diesen ganzen drei schrecklichen Monaten jemals etwas begriff. Während ich neben intelligenten Studenten der ersten Semester saß, beneidete ich sie brennend um ihr Verständnis, das sie offensichtlich diesen Fächern entgegenbrachten. Ich zitterte bei dem Gedanken an die Tests, die meine abgrundtiefe Unwissenheit an den Tag bringen würden. Es war ein recht demütigendes Erlebnis, und es gab wahrhaftig Zeiten, wo ich an der Grenze der Hysterie stand, während ich meine Dummheit zu verbergen versuchte.
Sie wurde niemals entlarvt, denn ein Glücksfall ermöglichte es mir, die angefangenen Studien aufzugeben und wieder mit dem Unterrichten zu beginnen. Gerade als meine Mutter und Schwester von England zurückerwartet wurden, war eine Position an der >Thames High School< ausgeschrieben worden, wobei es sich in der Hauptsache um Unterricht in Englisch handelte. Ich bewarb mich und wurde angenommen und verabschiedete mich geziemend von meinen Professoren, die höflich genug waren, ihr Bedauern darüber auszudrücken, daß es mir nicht möglich war, ein Studium zu vollenden, von dem ich heimlich wußte, daß es jenseits meiner Fähigkeiten lag. Und damit trennte ich mich endgültig von Auckland und seiner Universität.
Diesmal fiel mir der Abschied viel leichter. Meine Freunde waren in alle Winde verstreut, die Universität für mich nun ein fremder und veränderter Ort, und Auckland selbst war mir durch die tragischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit verleidet. Ich begrüßte noch Mutter und Tim bei ihrer Heimkehr und übersiedelte dann nach Thames.
Die >High School< war klein. In den akademischen Fächern war ich die einzige Lehrerin. Mr. Rudmann hatte das Amt des Schulleiters inne, und die restliche Lehrerschaft bestand, glaube ich, nur aus fünf Lehrern. Ich gab Englisch in allen Klassen und ein bißchen Französisch und tat beides mit Freuden. Am schönsten waren die Englischstunden in den höheren Klassen, wo wir zwanglos verteilt an unseren Pulten saßen, völlig in unsere Themen vertieft, und leidenschaftlich unsere Ansichten über Dichtungen und die großen Romanschriftsteller austauschten. Für mich war das die beste Zeit meiner Lehrtätigkeit, an die ich immer noch mit Vergnügen denke.
Während der folgenden Sommerferien machte ich mit meinem Bruder eine ausgedehnte Tour nach South Island. Auf unserer Anreise blieben wir einige Zeit bei Bekannten in Christchurch, besuchten Mr. und Mrs. Howell und fuhren dann vom Bluff nach Stewart Island, damals einem stillen Ferienort. Es war eine außergewöhnlich schöne und fremdartige Landschaft, mit nur ganz wenigen Touristen und zauberhaften Buchten und Wäldern.
Mein Bruder und ein mit ihm befreundeter Kollege, der mit uns war, beschlossen plötzlich, den Versuch zu unternehmen, sich von einer angeblichen Ablagerung von Zinn im Süden der Insel zu überzeugen. Wir mieteten ein Motorboot, mit dem wir einen Teil des Weges zurücklegten, und verabredeten mit dem Besitzer die Rückkehr für einen bestimmten Tag. Dann treckten wir quer über den hochgelegenen Teil der Insel und schliefen in einer alten Hütte, die seit langem verlassen war. Ich erinnere mich noch, wie kalt es war und wie wenig die Vögel dort an Menschen gewöhnt waren, so daß sie zutraulich in die Hütte geflogen kamen und einer mich sogar aufweckte, indem er mit seinem Schnabel auf das Glas meiner Uhr pickte.
Am nächsten Tag trafen wir auf ein paar Schürfer, die uns den falschen Weg wiesen — absichtlich, wie die Männer glaubten — , so daß wir auf unserer eigenen Spur wieder zu jener Bucht zurückkehrten, wo wir mit dem Motorboot angelegt hatten. Die beiden Männer entschieden, daß sie den Trip nur machen konnten, wenn sie weder durch die Zeltausrüstung noch durch mein langsameres Vorankommen behindert würden, und setzten mich skrupellos in der Hütte eines Siedlers ab, der völlig einsam in dieser Bucht lebte und seine Zeit zwischen Fischen, Segeln und Landwirtschaft aufteilte.
Er war Junggeselle, weshalb ich mir nachträglich noch oft überlegt habe, was er wohl von dieser Situation gehalten haben mochte. Man dachte in jenen Tagen streng konventionell; doch ich hatte eine recht unkonventionelle Erziehung genossen und fühlte mich in keiner Weise verlegen. Jahre später gab mein Bruder zu, daß er sich nachträglich einigermaßen
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