Decker & Lazarus 05 - Du sollst nicht luegen
machte das Leben zwar nicht schön, aber zumindest hatte ich meine Ruhe. Dann kamen meine wunderbaren Eltern eines Tages an und verkündeten, sie hätten jetzt genügend Geld gespart, um mir eine erstklassige Operation zu bezahlen.«
Er suchte Blickkontakt zu Decker.
»Wissen Sie, was sie zu mir gesagt haben, Sergeant? Wir bringen dich zu einem Arzt, und der schneidet dir das ab, was von deinem Pimmelchen noch übrig ist.«
Er schüttelte heftig den Kopf.
»Das kam für mich überhaupt nicht in Frage! Ich besaß die Unverschämtheit, meinen Eltern zu sagen, daß ich ein Junge sein wollte – Scheiß auf die Medikamente, Scheiß auf die Operation, Scheiß auf den Abschlußball in der Schule – was meine Mutter besonders ärgerte, weil sie hundert Dollar für mein Kleid ausgegeben hatte.
Meine ach so wunderbaren Eltern erklärten mir prompt, sie würden mich verstoßen, wenn ich wieder ein Junge würde. Was sie dann auch taten. Die einzige, die zu mir gehalten hat, war Kelley. Also haben sie ihr zugesetzt. Schließlich haben sie sie rausgeschmissen, weil es ständig Krach gab. Sie war erst siebzehn und hatte keine Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Einserschülerin, und sie haben ihr keinen roten Heller gegeben. Ich hab sie dann unterstützt. Ich hab uns eine Wohnung besorgt und ihr das College finanziert. Diesen ganzen Mist mußten meine Schwester und ich nur deshalb durchmachen, weil meine Eltern nicht akzeptieren wollten, was ihre genetischen Anlagen bei mir angerichtet hatten.«
Ness sah auf seine Uhr und stieß einen heftigen Atemzug aus. »Ich muß los … der Yoga-Kurs um fünf. Bin schon spät dran.«
Decker stand auf und warf Ness das Album zu. Ness fing es mit einer Hand und klemmte es unter seinen Arm.
»Ich hab Ihnen doch gesagt, daß ich Lilah nicht vergewaltigt hab.«
Decker antwortete nicht.
»Danke«, sagte Ness.
»Keine Ursache«, sagte Decker.
Decker war in gelassener Stimmung, als sie die Polizeistation betraten. Zwar hatten sie in Davidas Bungalow nichts gefunden – die Memoiren konnten sie vermutlich abschreiben –, aber zumindest würde er vor Beginn des Sabbats zu Hause sein und hätte sogar noch ein wenig Zeit. Hollander hob ächzend seinen Hintern vom Stuhl.
»Ihr zwei habt gerade Ms. Eversong verpaßt.«
»Ist sie weg?« fragte Marge.
»Vor ungefähr zwanzig Minuten. Wollt ihr nen Kaffee?«
Decker nahm die Zettel mit den telefonischen Nachrichten und begann sie durchzublättern. »Danke, Mike, Kaffee wär prima.«
»Die konnten sie nicht länger als eine Stunde hierbehalten?« klagte Marge.
»Man braucht einen Grund, um jemanden in Gewahrsam zu nehmen, Marge«, sagte Hollander. »Was können wir ihr schon anhängen? Daß sie ein Verbrechen nicht gemeldet hat?«
»Was ist mit Freddy?« sagte sie zu Decker. »Wir haben immer noch Freddy an der Hand.«
»Weißt du, was ich glaube, Margie?« sagte Decker. »Ich glaube, Ness hat recht. Freddy wird kneifen. Wir haben am Ende wahrscheinlich weniger in der Hand als am Anfang.«
»Sie ist also frei?«
»Ich fürchte schon«, sagte Hollander. »Und Morrison rechnet damit, daß sie uns wegen Belästigung verklagen wird. Doch diese Klage werden wir wohl abschmettern können. Habt ihr ihn in der Glotze gesehen? Ich fand, er gab eine ganz gute Figur ab. Euch beide hab ich allerdings nicht gesehen.«
»Du hast nicht gesehen, wie ich ›Hi, Mom‹ gesagt hab?« fragte Marge.
»Dieses Stück Band liegt vermutlich auf irgendeinem Schneidetisch«, sagte Decker.
»Yeah, die ganze Geschichte flimmerte nur ein paar Sekunden über den Bildschirm«, sagte Hollander. »Und jetzt, wo Davida entlassen ist, ist es schon Schnee von gestern.«
»Wo ist Morrison?« fragte Decker.
»Nicht da.« Hollander zuckte die Achseln. »Er hat euch aber eine Nachricht hinterlassen. Auf deinem Schreibtisch, Rabbi.«
Decker ging zu seinem Platz und nahm den neutralen weißen Briefumschlag, der auf seinem Schreibtisch lag. Er zog ein Blatt heraus und las Marge vor, was darauf stand.
»Burbanks vorläufiges Ergebnis im Mordfall Merritt stimmt mit Davidas Darstellung überein, sie werden jedoch noch weitere Untersuchungen machen … Devonshire ermittelt weiter im Fall Donnally … der Überfall auf Lilah wurde als gestellt befunden … Davidas Schmuck ist wieder aufgetaucht … die Anklage gegen Totes wurde fallen gelassen. Gute Arbeit … Zeit für was Neues.«
»Das ist alles?«
»Sieht so aus.«
»Das stinkt zum Himmel!«
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