Dein ist das Leid (German Edition)
– das Einzige, was je seinen finsteren Gesichtsausdruck aufhellte. Er wirkte noch immer von Kopf bis Fuß wie der Bulle aus der Hauptstadt, der er gewesen war, bevor er zum FBI ging, bis hin zu der Narbe an seiner linken Schläfe. Trotz seines trockenen Humors ruhte er auf eine verschlossene Art in sich, die die meisten Leute sofort verunsicherte. Er konnte andere Menschen stumm abwartend niederstarren, bis sie nicht mehr anders konnten, als zu reden. In seinem Beruf war das ein unschätzbarer Vorteil, aber leider war er auch privat nicht anders.
Hutch war von einem Geheimnis umgeben. Er hatte seine Gefühle immer unter Kontrolle und verriet anderen gegenüber fast nichts von sich.
Casey war die einzige Ausnahme.
„Hat Casey eurer Klientin wenigstens ordentlich den Marsch geblasen?“
Ryan schüttelte den Kopf. „Wir beide waren viel zu sauer, um mit Amanda umgehen zu können. Sie hat Marc ins Krankenhaus geschickt, um sich darum zu kümmern. Aus irgendeinem Grund kann er sie immer beruhigen. Sie klammert sich an ihn, als hinge ihr Leben davon ab.“
„Das sollte dich nicht überraschen. Er ist nun mal so ein ruhiger Typ, und außerdem gehen ihm Kinder in Gefahr wirklich nahe – bei dieser Klientin ist er eure ideale Bezugsperson.“
„Ja, ich weiß.“ Ryan streckte sich, um seinen verspannten Rückenzu lockern. „Ich würde dir gern mehr erzählen, aber ich kann nicht. Dieser Fall geht einem wirklich an die Nieren.“
„Ist das nicht bei allen Fällen so?“
„Bei manchen mehr als bei anderen.“
„Schon kapiert.“ Hutchs blaue Augen blickten suchend hinter Ryan. „Ich nehme an, Casey ist nicht da?“
„Nee. Nur ich und meine To-do-Liste. Casey arbeitet draußen an dem Fall, mit Marc, Claire und Hero, und Patrick läuft sich irgendwo die Füße wund. Wann erwartet sie dich denn?“
„Zum Abendessen. Bis dahin habe ich Zeit für mich. Was auch gut so ist, denn ich bin ganz schön erledigt. In dem Flieger habe ich nicht viel Schlaf gekriegt. Am besten gehe ich mal hoch in Caseys Zimmer, haue mich hin und dusche hinterher, sodass ich wieder als menschliches Wesen erkennbar bin, wenn sie nach Hause kommt.“
„Klingt gut. Ich lege auch mal ’ne Pause ein. Drüben im Fitnessstudio. Eigentlich bräuchte ich mindestens zwei Stunden, um das Hirn wieder in Gang zu bringen, aber ich werde mich mit einer begnügen. Die Aufräumarbeiten nach Yodas Alarm haben mich die zweite Stunde gekostet.“
„Eine bedauernswerte Notwendigkeit, Ryan“, ließ Yoda sich vernehmen. „Ich bitte um Entschuldigung.“
„Da ist keine Entschuldigung notwendig, Yoda. Du hast genau das Richtige getan. Aber schließlich habe ich dich programmiert.“
„Stimmt auch wieder.“
„Wie dem auch sei“, sagte Ryan zu Hutch. „Mein Gehirn ist überlastet. Ich gehe jetzt mal Eisen stemmen.“
Hutch nickte. Alle wussten, was Ryan für ein Fitnessfreak war. Hutch wunderte sich bloß darüber, dass er bei seinen ständigen Trainingseinheiten und seinen täglichen acht Stunden Schönheitsschlaf überhaupt noch Zeit dazu fand, auch Ergebnisse zu produzieren. Aber dieser Bursche schaffte das alles, und er war auch noch besser als jedes andere Technikass, mit dem Hutch je zu tun gehabt hatte.
„Brauchst du einen Schlüssel?“, fragte Ryan. „Wenn du was essen willst, musst du entweder rausgehen oder dir was bringen lassen. Ich bezweifle, dass du in Caseys Kühlschrank viel findest.“
„Schon in Ordnung. Ich schlafe lieber. Das Essen hole ich heute Abend nach.“ Hutch gähnte und griff nach seiner Reisetasche. „Ach ja, Yoda? Ich verspreche dir, dicke Decken zu nehmen. Da steigt meineKörpertemperatur in null Komma nichts.“
„Das ist sehr gut, Hutch.“
Hutch ging zur Treppe. „Viel Spaß beim Schwitzen“, rief er über die Schulter. „Wir sehen uns in ein paar Stunden.“
Die beiden Männer setzten sich in einem verschwiegenen Büro zusammen. Keiner von beiden war sonderlich glücklich.
„Haben Sie das Video gesehen?“ Der Untersetzte verschwendete keine Zeit mit Geschwätz.
„Klar hab ich es gesehen“, lautete die ebenso knappe Antwort.
„Wir haben ein Problem.“
„Und was für eins.“
„Wir müssen dieses Video irgendwie löschen oder blockieren. Wir dürfen nicht riskieren, dass er es sieht.“
„Das ist nicht das Problem. Er wird es nicht sehen. Aber der ganze Rest der Welt hat es schon gesehen. Irgendjemand wird ihm davon erzählen. Die Frage ist nur noch, wann – vermutlich wird es
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